Die Selbstzerstörung des Glioblastoms

Jülicher Wissenschaftler schalten mit neuartiger RNA-Technologie gezielt Tumore im Gehirn aus

Mit einem besonderen RNA-Molekül hat ein Team um Jülicher Wissenschaftler:innen Glioblastom-Krebszellen gezielt angegriffen und zerstört. Die sogenannte selektiv exprimierte RNA (seRNA) bewirkt, dass die kranken Zellen ein Protein produzieren, welches zu ihrem eigenen programmierten Zelltod führt. In gesunden Zellen bleibt die seRNA inaktiv und zeigt keine Wirkung. Das ergaben Mausstudien, deren Ergebnisse nun in Nature Communications veröffentlicht wurden. Die Methode basiert auf einer neu entwickelten und leicht anpassbaren Plattformtechnologie. Diese könnte nun die Basis darstellen, um eine neue Generation von wirksamen Arzneimitteln nicht nur gegen Krebszellen zu entwickeln, sondern auch gegen Viren und genetische Erkrankungen, wie die Zystische Fibrose.

In der Krebsforschung ist es schon lange das Ziel, Medikamente zu entwickeln, die nur die Tumorzellen angreifen und keine Nebenwirkungen bei gesunden Zellen verursachen. Die Wirkstoffe müssen also zwischen gesunden und kranken Zellen unterscheiden können. Jülicher Wissenschaftler:innen haben dazu ein RNA-Molekül entwickelt, das nur in erkrankten Zellen aktiv wird und dort zur Produktion von Wirkstoffen führt. Die neue RNA-Form wurde im Anschluss in enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern aus Köln, Würzburg und Straßburg im Detail charakterisiert.

Seit der Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 ist die Messenger RNA (mRNA) keine Unbekannte mehr. In Zellen ist sie dafür verantwortlich, die genetische Botschaft der DNA zu lesen und mit diesem Bauplan die Produktion verschiedener Moleküle – meist Proteine – anzuwerfen, die im Zellstoffwechsel benötigt werden.

Jülicher Forscher haben dieses Prinzip nun zu einer selektiv exprimierten RNA (seRNA) weiterentwickelt. Diese setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen. Ein wichtiger Baustein ist dabei eine Art hochspezifischer Sensor: Er erkennt in der Zelle, ob es sich um die erkrankte Zelle, zum Beispiel eine Glioblastomzelle handelt und verbindet sich mit einer der tumorspezifischen mRNA, beispielsweise einem Krebsmarker, zu einem RNA-Doppelstrang. Dieser RNA-Doppelstrang wird von der Zelle als möglicher Viren-Angriff bewertet. Die Zelle erkennt die damit verbundene Gefahr und baut die seRNA daraufhin teilweise ab. Dadurch werden die weiteren nachfolgenden Bausteine des seRNA-Komplexes aktiviert, was zur Produktion eines Enzyms führt, das die Krebszelle veranlasst, sich selbst zu zerstören. Je nach Wahl der seRNA-Bausteine kann individuell festgelegt werden, in welcher Zielzelle des Körpers die Aktivierung der seRNA erfolgt und welches medizinisch wirksame Molekül produziert wird. In gesunden Zellen passiert hingegen aufgrund des Fehlens des Krebsmarkers nichts. Der Angriff gesunder Zellen kann so vermieden werden.

„Die zelleigene RNA als ´Schalter` zu nutzen, ist völlig neuartig“, erklärt PD. Dr. Bernd Hoffmann vom Institut für Biologische Informationsprozesse, Bereich Mechanobiology (IBI-2) des Forschungszentrums Jülich. „Und das Baukasten-Prinzip macht die seRNA zu einer vielversprechenden Plattformtechnologie.“ Je nachdem, an welche mRNA-Bausteine die seRNA bindet und welche Proteinproduktion sie damit aktiviert, könne die neue Methode bei verschiedenen Krebserkrankungen eingesetzt werden, bei viralen Erkrankungen wie Hepatitis B, aber auch bei Autoimmunerkrankungen. „Mit der Entwicklung der seRNA Moleküle für medizinische Anwendungen können wir den zielgerichteten Angriff erkrankter Zellen sicherstellen und dies gleichzeitig mit der selektiven Produktion von Wirkstoffen kombinieren“, sagt Prof. Rudolf Merkel, Direktor des IBI-2.

Das IBI-2 wird die Technologie der schaltbaren seRNA-Moleküle im Rahmen eines Forschungsauftrags weiterentwickeln und für den Einsatz gegen das Glioblastom und weitere Krankheiten optimieren. So soll die neue Plattformtechnologie nun auch gegen Leberkrebs die prä-klinische Phase und erste toxikologische Studien durchlaufen. Die Firma SRTD biotech ist Patentinhaber für die seRNA-Technologie.

Zusatzinformation: mRNA Moleküle sind immer und in jeder Zelle aktiv. Dieses ist anders bei seRNA Molekülen. Ihre Aktivierung erfolgt erst, wenn der grün markierte Baustein der seRNA (antisense) sich in der gewählten Zielzelle mit einer nur dort vorhandenen, spezifischer RNA (target sense RNA) zu einem Doppelstrang verbindet. Dieser Doppelstrang ist für die Zelle ein Alarmsignal, das dazu führt, dass die seRNA teilweise abgebaut wird. Dieser Abbau aktiviert die verbleibende seRNA. Dies führt zur Produktion eines Enzyms, das im Fall von Krebszellen den programmierten Zelltod einleitet (in der Abbildung festgelegt durch den orangen Baustein (Effector). Welches Enzym gebildet wird kann jedoch je nach Anwendung frei gewählt werden. In gesunden Zellen erfolgt keine Aktivierung der seRNA, da diese keine krebsspezifische RNA enthalten. Hierdurch werden Nebenwirkungen vermieden und die inaktive seRNA wird nach wenigen Stunden mittels natürlicher Prozesse rückstandsfrei abgebaut.

Originalpublikation: Selectively expressed RNA molecules as a versatile tool for functionalized cell targeting, Nature Communications, by Frederik Rastfeld, Marco Hoffmann, Sylvie Krüger, Patrick Bohn, Anne-Sophie Gribling-Burrer, Laura Wagner, Nils Hersch, Carina Stegmayr, Lukas Lövenich, Sven Gerlach, Daniel Köninger, Christina Hoffmann, Helene L. Walter, Dirk Wiedermann, Hajaani Manoharan, Gereon R. Fink, Rudolf Merkel, Heribert Bohlen, Maria A. Rueger, Bernd Hoffmann,
DOI: 10.1038/s41467-024-55547-6

Weitere Informationen

Video: Ein neues Kapitel in der Behandlung von Krankheiten (in englisch)
Institut: Institut für Biologische Informationsprozesse, Mechanobiologie (IBI-2)
Firma: SRTD Biotech