Au Backe! Warum sich Zahnschmerzen oft nicht vermeiden lassen
9. Februar: Internationaler Tag des Zahnschmerzes
Jena (UKJ/ane): Wer kennt sie nicht: pochende oder stechende Zahnschmerzen. Und auch wenn Zahnschmelz die härteste Substanz des menschlichen Körpers ist, sind Zähne weit mehr als nur Kauwerkzeuge. Sie besitzen wie jedes Organ ein Netz aus Blutgefäßen und Nerven. Verständlich, dass uns hin und wieder Zahnschmerzen plagen. Fünf Fragen an Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie im Zentrum für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Jena
Der häufigste Grund für Zahnschmerzen ist Karies. Aber es gibt weit mehr Ursachen…?
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs: Der Zahnschmerz ist mannigfaltig und kann sehr viele Ursachen haben. Vier Beispiele: Um den Zahn herum haben wir viele Nerven, das Parodontium oder auch Zahnhalteapparat – hier kann eine Entzündung vorliegen, die Schmerzen verursacht. Außerdem gibt es das Kiefergelenk, das Schmerzen verursachen kann, zum Beispiel durch starkes Beißen nachts. Dabei werden die Kräfte der Kaumuskulatur auf den Zahnschmelz, auf die Zahnnerven übertragen und ebenfalls an das Kiefergelenk weitergeleitet.
Ursächlich kann auch ein Zahnengstand sein, den wir Kieferorthopäden nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen beobachten. Zähne drängen nach vorne und schieben in der Folge Eck- und Schneidezähne zusammen. Mitunter führt das unbehandelt zu Schmerzen. Und natürlich kann auch die Zahnspange selbst Schmerzen verursachen. Hier hat sich inzwischen bei modernen Materialien viel getan. Wir arbeiten nicht mehr mit den starren Stahlbögen, sondern mit Nickel-Titan-Bögen. Diese bioelastischen Materialien führen dazu, dass es wegen einer Zahnspange heute viel weniger Zahnschmerzen gibt.
Universitäre Kieferorthopädie heißt auch, wir arbeiten in der Forschung und sind damit ganz nah an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, Behandlungsmöglichkeiten, Verfahren. Wie weit sind wir?
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs: Im Grunde befindet sich gerade alles – von der Diagnostik über die Therapie bis zur Retentions- oder auch Haltephase in der Überarbeitung. Im gesamten Spektrum gibt es neue Materialien – wir untersuchen diese hier bei uns am UKJ auf klinische Effizienz: So gibt es neue Brackets, neue Klebetechniken und neue Bögen. Zum zweiten gibt es mittlerweile die unsichtbare oder auch innenliegende Zahnspange. Diese hat den großen Vorteil, dass sie an der hinteren Zahnseite befestigt ist und dementsprechend von der Zunge gereinigt werden kann. Es konnte wissenschaftlich nachgewiesen, dass dies zu 80 Prozent weniger Karies unter der Zahnspange führt. Und dann arbeiten wir inzwischen mit durchsichtigen Schienen, den Alignern. Diese sind nahezu unsichtbar und ideal für kleine Zahnkorrekturen.
Auch in der Diagnostik gehen wir inzwischen ganz neue Wege: Wir arbeiten mit dem digitalen Zahnabdruck. Die meisten, die das früher erlebt haben, erinnern sich noch an den breiten, silbernen Löffel mit einer Art Knetmasse. Eine Tortur für viele. Das können wir zum Glück in der Geschichte verdammen. Heute können wir mit einer kleinen Intraoralkamera innerhalb von einer Minute einen kompletten digitalen Abdruck von Ober- oder Unterkiefer anfertigen. Die Vorteile sind mehrdimensional: Für den Patienten ist das Prozedere viel angenehmer, kürzer und genauer. Die digitale weitere Planung etwa für durchsichtige Schienen oder innenliegende Spangen verläuft mit absoluter Präzision. Und das dritte ist die Reproduzierbarkeit. Den digitalen Abdruck können wir immer wieder ausdrucken, in genau der Präzision. Also auch Verlauf und Kontrolle sind in herausragender Qualität gewährleistet.
Brackets, Schienen oder Zahnspangen – jeder weiß, dass dies immer auch mit Kosten für die Patienten verbunden ist. Sind diese modernen Verfahren teurer?
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs: Der digitale Abdruck wird mittlerweile komplett von den Krankenkassen bezahlt. Daher bieten wir diesen auch Jugendlichen an. Bei Erwachsenen ist die kieferorthopädische Behandlung abhängig vom Versichertenstatus immer schon Privatleistung. Es sei denn, es handelt sich um ausgeprägte Kieferfehlstellungen, die operiert werden müssen. In solchen Fällen arbeiten wir mit den Kieferchirurgen zusammen. D.h. Patienten bekommen eine Zahnspange, um die Zähne auszuformen, und anschließend eine Kiefer-Operation, um die Kiefer gerade zueinander zu positionieren. Insgesamt sind die modernen digitalen kieferorthopädischen Techniken teilweise im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen verankert.
Gibt es in der Kieferorthopädie eine Altersgrenze?
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs: Schöne Frage. Das nehmen viele an. Aber die Altersgrenze gibt es nicht. Kieferorthopädie geht quasi von 0 bis 99. Auch im hohen Alter können wir viel tun. Am besten ist im ersten Schritt eine Beratung.
Haben Sie Tipps, damit es gar nicht erst zu Zahnschmerzen kommt?
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs: Fünf Dinge: gesund ernähren, zweimal täglich mindestens zwei Minuten lang Zähneputzen und ein- bis zweimal jährlich eine Zahnreinigung durchführen lassen. Und ganz wichtig: Zweimal im Jahr den Zahnarzt aufsuchen, einmal im Jahr zum Kieferorthopäden. Warum? Es gab früher den Mythos, dass die Weisheitszähne von hinten kommen und die Zähne verschieben. Wir wissen heute, dass das wissenschaftlich nachgewiesener Unsinn ist. Auch bei den Zähnen erleben wir ein Aging-Phänomen: Die Zähne sind nicht im harten Knochen eingebettet, sondern im Bindegewebe, das aus Kollagen besteht. Und ähnlich wie die Haut oder die Haare verändern sich im Alterungsprozess auch die Zähne, mit und ohne Weisheitszähne. Das sollte jährlich vom Kieferorthopäden kontrolliert werden.
Kontakt:
Poliklinik für Kieferorthopädie im Zentrum für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Jena