Zu früh für die Regelversorgung: Transkranielle Pulsstimulation TPS bei Alzheimer

Menschen mit Alzheimer wird Hoffnung gemacht: Die sogenannte Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird als neue, scheinbar „bahnbrechende“ kostenpflichtige Therapiemethode angepriesen. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. hat die Datenlage in einer Stellungnahme bewertet unter der Federführung von Vorstandsmitglied Prof. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie und Co-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen. Das Resümee: Es erscheint verfrüht, die TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung oder anderer Erkrankungen des Gehirns anzusehen und zu bewerben.

Die Alzheimer-Krankheit ist trotz intensiver Forschung bislang unheilbar. Sie zählt wie Parkinson oder Multiple Sklerose zu den neurodegenerativen Erkrankungen und zeichnet sich durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen aus. Dies führt zu einer Beeinträchtigung bestimmter Hirnfunktionen wie zunehmendem Gedächtnisverlust, Sprach- oder Bewegungsstörungen. ForscherInnen der Universitätsklinik für Neurologie in Wien haben gemeinsam mit der Firma Storz Medical AG die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) entwickelt. Die neue Therapie, die bereits umfangreich öffentlich beworben wird, soll die Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren ist es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am Schädelknochen, nicht invasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale anzusteuern und diese zu aktivieren“. Auf der Website der „Ärztlichen Interessensgemeinschaft Alzheimer-Demenz-Therapie“ unter www.alzheimer-deutschland.de und in einigen überregionalen Medienberichten in Deutschland wird die Methode als „wirksam und sicher“ sowie „bahnbrechend“ bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum gibt es bereits mehr als 42 Behandlungsstandorte, 33 davon in Deutschland.

Studien zu klinischen Effekten der TPS im Jahr 2019 publiziert

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist eine gepulste ultraschallbasierte Methode zur nicht invasiven Stimulation des Gehirns. Eine spezielle Ultraschallsonde emittiert sehr kurze (30 µs) Ultraschallpulse mit einer typischen Frequenz von 5 Hz. Dem TPS-Konzept liegt eine mehr als zehnjährige Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Prof. Roland Beisteiner von der Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie der Medizinischen Universität Wien zugrunde. Seit 2019 wurden die Forschungsdaten zur TPS in sechs wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht.

THS gegen kognitive Defizite und den Verlust von Nervenzellen?

Vier der Studien beruhen auf Untersuchungen an ein und derselben kleinen Kohorte aus 35 ProbandInnen mit wahrscheinlicher Alzheimer-Erkrankung. Diesen wurde die TPS über 2‒4 Wochen (3 Sitzungen pro Woche, 6000 Pulse/Sitzung, Stimulation von individuell festgelegten Regionen des „Alzheimer-Netzwerks“ inklusive des dorsolateralen präfrontalen Kortex und des Default Mode Netzwerks) appliziert [1]. Darüber hinaus konnten die WissenschaftlerInnen signifikante positive Wirkungen auf neurokognitive Leistungen beobachten, die über 3 Wochen stabil anhielten. Gemessen wurden diese mit einer standardisierten neuropsychologischen Testbatterie zur Erfassung kognitiver Defizite bei Alzheimer-Patienten (CERAD, Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease, korrigierter Gesamtscore). Allerdings wurden neben positiven Effekten in den kognitiven Domänen „Gedächtnis“ und „verbale Funktionen“ auch negative Effekte auf visuo-konstruktive Leistungen beobachtet.

Drei weitere Publikationen der Arbeitsgruppe beziehen sich auf Sekundäranalysen von Daten dieser Primärstudie [2,3].

Kritik am Studiendesign: dünne Studienlage und unklare Wirkung

Trotz interessanter Ergebnisse: Zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft und WissenschaftlerIinnen unterschiedlicher Universitäten, zweifeln an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Auch die DGKN sieht die neue Methode auf Basis der aktuellen Datenlage kritisch:

1. Es gibt nur eine einzige Pilotstudie, die bislang zum Thema therapeutische Wirkung von TPS auf Patienten mit Alzheimer-Erkrankung publiziert wurde [1]. Diese basiert auf einer kleinen ProbandInnen-Gruppe und ist nicht kontrolliert, d. h., es gab keine Kontrollgruppe und somit auch kein randomisiertes verblindetes Studiendesign, welches notwendig wäre, um wirksame Therapien von Scheinbehandlungen zu unterscheiden. Somit kann zum aktuellen Zeitpunkt schlichtweg nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den beobachteten Wirkungen um Placeboeffekte handelte. Alle bisher publizierten Untersuchungen kommen zudem von derselben Arbeitsgruppe.

2. Im Zeitalter evidenzbasierter Medizin sind genauso wie für den Wirksamkeitsnachweis neuer medikamentöser Therapien auch für medizintechnische Therapien multizentrische, randomisierte, kontrollierte doppelt-verblindete Phase-II/III-Studien mit einem signifikanten Ergebnis für den primären Wirksamkeitsendpunkt zu fordern.

3. Auch die biologischen und neurophysiologischen Wirkungen der Methode sind bislang nur rudimentär untersucht, mit Ausnahme einiger präklinischer Daten an Ratten sowie der o. g. fMRT-Daten und einer Studie zu somatosensorisch evozierten Potenzialen bei Gesunden.

4. Schließlich sind die PatientInnen lediglich für 3 Monate nachbeobachtet worden, sodass die bei voranschreitenden neurodegenerativen Erkrankungen wichtige Frage nach der Dauer der beobachteten Therapieeffekte nicht adressiert wurde.

Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit definitiv noch keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind placebokontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich. Es ist daher aktuell nicht gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung oder anderer Erkrankungen des Gehirns anzusehen und zu bewerben.“

Literatur

1. Beisteiner et al. 2020, Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s Disease – A New Navigated Focal Brain Therapy. Adv Sci (Weinh). 7:1902583
2. Matt et al. 2022, Transcranial pulse stimulation (TPS) improves depression in AD patients on state-of-the-art treatment. Alzheimers Dement (N Y). 10;8(1):e12245;
3. Dörl et al. 2022, Functional Specificity of TPS Brain Stimulation Effects in Patients with Alzheimer’s Disease: A Follow-up fMRI Analysis. Neurol Ther. 11(3):1391-1398

Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. vertritt die Interessen von MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft mit über 4.000 Mitgliedern fördert die Erforschung von Gehirn und Nerven, sichert die Qualität von Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheiten und treibt Innovationen auf diesem Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen. www.dgkn.de