Schlafentzug lässt das Gehirn alt aussehen

Schon eine einzige Nacht ohne Schlaf genügt: Ein Team von Wissenschaftler:innen aus Dänemark, der Schweiz, den USA, China und Deutschland hat in einer neuen Studie herausgefunden, dass danach das menschliche Gehirn älter erscheint. Bei den 134 jungen, gesunden Teilnehmer:innen zeigen Aufnahmen des Gehirns Veränderungen, die typischerweise erst bei ein bis zwei Jahre älteren Menschen auftreten. Die gute Nachricht: Ein anschließender Erholungsschlaf macht die Veränderungen rückgängig. Die Studie unter Federführung von Prof. David Elmenhorst vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich zeigt auch, dass es nach nur teilweisem Schlafentzug keine signifikante Veränderung des Hirnalters gibt.

Mithilfe von Algorithmen des Maschinellen Lernens, deren Trainingsgrundlage strukturelle Aufnahmen mit dem Magnetresonanztomographen (MRT) sind, lässt sich das „biologische“ Alter des Gehirns einer Person zuverlässig schätzen. Dieses kann sich jedoch vom „kalendarischen“ Alter der Person unterscheiden, z. B. wenn Demenz-Erkrankungen das Gehirn vorzeitig altern lassen.

Schlaf ist für den Menschen zur Erhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit unerlässlich. Und: Schlaf und Gehirn beeinflussen sich gegenseitig. So deuten altersbedingte Veränderungen verschiedener Schlafmerkmale darauf hin, dass eine verminderte Schlafqualität ein häufiges Merkmal des Alterns ist. Umgekehrt kann eine Schlafstörung den Alterungsprozess des Gehirns beschleunigen. Bislang war aber nicht bekannt, welchen unmittelbaren Einfluss Schlafentzug auf das biologische Alter des Gehirns hat. Mit der aktuellen Studie wollten die Forscher:innen diese Wissenslücke schließen.

Für die Untersuchung ermittelten sie zunächst das biologische Alter der Gehirne von 134 gesunden Freiwilligen (zwischen 19 und 39 Jahre alt, 42 Frauen, 92 Männer) mittels MRT. Anschließend wurden u.a. im „:envihab“-Schlaflabor des DLR in Köln verschiedene experimentelle Schlafbedingungen untersucht: vollständiger Schlafentzug (Wachzustand länger als 24 Stunden), akuter Schlafentzug (drei Stunden Schlaf für eine Nacht) und chronischer teilweiser Schlafentzug (fünf Stunden Schlaf für fünf aufeinander folgende Nächte).

Bei der Auswertung der gewonnenen MRT-Daten beobachteten die Wissenschaftler:innen, dass vollständiger Schlafentzug das biologische Hirnalter um ein bis zwei Jahre erhöhte. „Interessanterweise unterschied sich das Hirnalter aber nach einer Nacht mit Erholungsschlaf nicht mehr vom Ausgangswert. Quasi ,verjüngte‘ sich das Gehirn wieder“, erläutert David Elmenhorst.

Im Gegensatz dazu wurde das Hirnalter weder durch akuten noch durch chronischen teilweisen Schlafentzug signifikant verändert. Elmenhorst: „Insgesamt deuten die übereinstimmenden Ergebnisse darauf hin, dass nur totaler Schlafverlust die Hirnmorphologie bei jungen Teilnehmern in einer altersähnlichen Richtung verändert. Diese Veränderungen werden aber durch Erholungsschlaf rückgängig gemacht.“ Die Ergebnisse der vorgelegten Studie zeigen, dass der Schlaf über seine alltägliche Erholungsfunktion hinaus möglicherweise eine wichtige Rolle bei Regulierung von Prozessen der Gehirnalterung spielt.

Originalveröffentlichung:

Congying Chu, Sebastian C. Holst, Eva-Maria Elmenhorst, Anna L. Foerges, Changhong Li, Denise Lange, Eva Hennecke, Diego M. Baur, Simone Beer, Felix Hoffstaedter, Gitte Moos Knudsen, Daniel Aeschbach, Andreas Bauer, Hans-Peter Landolt and David Elmenhorst: Total sleep deprivation increases brain age prediction reversibly in multi-site samples of young healthy adults. Journal of Neuroscience 20 February 2023, JN-RM-0790-22; DOI: https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.0790-22.2023

Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Molekulare Organisation des Gehirns (INM-2)
https://www.fz-juelich.de/de/inm/inm-2