Reproduktionsmedizin: Künstliche Intelligenz zur Vorhersage der ovariellen Reaktion
Original Titel:
Machine-intelligence for developing a potent signature to predict ovarian response to tailor assisted reproduction technology.
- Bei Verfahren der künstlichen Befruchtung können Werte wie die Konzentration an Anti-Müller-Hormon (AMH) und die Anzahl der Antralfollikel (AFC) das komplexe Geschehen nur teilweise widerspiegeln
- Der Einsatz künstlicher Intelligenz kann dabei helfen, den Verlauf der Behandlung vorauszusehen und die Behandlung darauf abzustimmen
- Gegenüber den klinischen Parametern AMH und AFC lieferten das hier entwickelte COS-pre-launch-Modell (CPLM) sowie das hCG-pre-trigger-Modell (HPTM) eine zuverlässigere Einschätzung der ovariellen Reaktion
MedWiss – In der vorliegenden Studie werden erstmals auf maschineller Intelligenz basierende Modelle vorgestellt, die eine verbesserte Abschätzung der ovariellen Reaktion in verschiedenen Phasen des Behandlungszyklus während der In-vitro-Fertilisation (IVF) ermöglichen. Durch den Einsatz von maschineller Intelligenz sollen die Individualisierung der Behandlung und der Behandlungserfolg verbessert werden.
Die maschinelle Intelligenz basiert auf nichtlinearer Parallelverarbeitung und begründet eine neue Richtung in der Reproduktionsmedizin, die Entscheidungen und Selbstorganisation unterstützt. Im Rahmen dieser Studie wurden zwei Modelle – CPLM und HPTM – entwickelt, um die ovarielle Reaktion zu verschiedenen Zeitpunkten des In-vitro-Fertilisationszyklus (IVF-Zyklus) zu berechnen. Eingesetzt wurden:
- Random Forest/Zufallswald-Algorithmen
- Entscheidungsbäume
- eXtremeGradient Boosting (eine Bibliothek, die maschinelles Lernen mit einem Boosted-Tree-Algorithmus ermöglicht)
- Support Vector Machine (mathematisches Verfahren zur linearen und nichtlinearen Objektklassifikation)
- Künstliche Neuronale Netze
CPLM mit neuronalen Netzen und HPTM mit Random Forest wurden aufgrund ihrer Vorhersagegenauigkeit (area under the curve, AUC) als geeignete Modelle ausgewählt.
Charakterisierung der Modelle
Beide Modelle zeigten exzellente Kalibrierungseigenschaften (C-Index 0,87 für CPLM und 0,90 für HPTM) sowie eine Überlegenheit gegenüber konventionellen statistischen Verfahren (CPLM: AUC 0,859 vs. 0,848; HPTM: 0,903 vs. 0,883). Im Vergleich beider Modelle mit den in der Praxis etablierten Prädiktoren AMH und AFC erzielten beide Modelle bessere Resultate (CPLM 0,895; HPTM 0,903 vs. AMH 0,824 und AFC 0,799). Diese Ergebnisse unterstreichen das große Potential beider Modelle für die Anwendung in der Praxis.
Bedeutung unterschiedlicher Marker für die Abschätzung der ovariellen Reaktion
Für die Vorhersage der ovariellen Reaktion mittels CPLM und HPTM stellte AMH in Übereinstimmung mit anderen, vorausgegangenen Untersuchungen den wichtigsten Parameter dar. Innerhalb des HPTM besaßen auch Östradiolwerte (E2) und die Zahl der Follikel am Tag der hCG-Gabe eine wichtige Rolle. Das Alter der Patientinnen erwies sich in dieser Studie nicht als stabile Größe zur Vorhersage der ovariellen Reaktion. Wichtiger scheint, wie auch einige Studien zeigen, das “ovarielle Alter” zu sein, das vom Lebensalter der Patientinnen abweichen kann. In den Modellen spielten zudem die Tage, an denen follikelstimulierendes Hormon (FSH) verabreicht wurde, eine wichtige Rolle. Nach Ansicht der Autoren sollte daher ein größeres Augenmerk auf einen individualisierten Einsatz von FSH gelegt werden.
Anwendung in der Praxis
CPLM erlaubte eine präzisere Abschätzung der ovariellen Reaktion während des Behandlungszyklus und damit eine individuellere Gestaltung der Behandlung, während HPTM die Wahl des Zeitpunkts der hCG-Verabreichung unterstützen konnte. Die Vorhersagegenauigkeit von HPTM übertraf die von CPLM — vor allem wegen der Berücksichtigung von E2 und der Follikelzahl am Tag der hCG-Gabe.
Modelle, die maschinelle Intelligenz nutzen, können Verfahren der künstlichen Befruchtung unterstützen. So konnte in dieser Studie ein geringes Ansprechen der Ovarien mittels CPLM und HPTM besser vorhergesehen werden als mit den bisher eingesetzten Verfahren, die vor allem auf den klinischen Indikatoren AMH und AFC basieren. Der Einsatz maschineller Intelligenz kann einen wesentlichen Beitrag zur Erfassung individueller Voraussetzungen und Wechselwirkungen leisten, woraus neue Möglichkeiten zur Individualisierung der Therapie entstehen und verbesserte Behandlungsergebnisse resultieren können.
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