Urlaubsfreude statt Übelkeit: Aktiv gegen die Seekrankheit
Berlin – Schiffsurlaube sind wieder im Kommen: Nach dem starken coronabedingten Einbruch bewegt sich die Zahl der Kreuzfahrten langsam wieder auf das vorpandemische Niveau zu, als pro Jahr über 2 Millionen Deutsche eine Kreuzfahrt unternahmen. Damit steigt verlässlich auch die Zahl der Seekranken wieder in die Hunderttausende. Bei Hochseekreuzfahrten muss jeder dritte bis vierte Passagier damit rechnen, zumindest vorübergehend von Unwohlsein befallen zu werden. Wie es dazu kommt und was man dagegen tun kann, wird ein Thema auf der Pressekonferenz des CRM Centrum für Reisemedizin sein, die anlässlich des 24. Forums Reisen und Gesundheit am 10. März 2023 in Berlin und online stattfindet.
Rollen, Stampfen, Schlingern – schon die Vorstellung davon, was Schiffe auf Wellen alles tun können, lässt empfindliche Naturen blass um die Nase werden. „Besonders stark wirkt die Auf- und Abwärtsbewegung des Schiffsrumpfes – das so genannte Stampfen – in Verbindung mit einer rollenden Bewegung um die Längsachse des Schiffes auf die Gleichgewichtsorgane“, sagt Dr. med. Jens Kohfahl, Facharzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin, Notfallmedizin, Sportmedizin, Tauchmedizin (GTÜM e.V.) und Reisemedizin (CRM) in Cuxhaven. Und damit seien die Voraussetzungen für eine Bewegungskrankheit (Kinetose), zu denen die Seekrankheit zählt, bereits gegeben. Als Hauptauslöser gilt der Konflikt zwischen dem, was das Gleichgewichtsorgan an das Gehirn meldet, und den Informationen, die es aus anderen Sinnesorganen wie dem Auge oder den Sensoren für die Körperstellung erhält, die dort eintreffen. Je nach Schweregrad stellen sich Müdigkeit, Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen ein, auch Schweißausbrüche sind nicht selten. Der Überträgerstoff Histamin gilt als hauptverantwortlich für die Auslösung von Erbrechen.
Wem an Bord blümerant wird, darf sich in guter Gesellschaft fühlen. Die Geschichte der Seekrankheit ist so alt wie die Seefahrt selbst, schon Cicero und Caesar schrieben darüber. „Je nach Situation sind bis zu 90 Prozent der Menschen von Seekrankheit betroffen“, sagt Kohfahl. Selbst unter erfahrenen Seeleuten können es in Extremsituationen bis zu 60 Prozent sein. Das gelte vor allem auf einer Rettungsinsel oder einem Freifallrettungsboot ohne Blickmöglichkeit auf den Horizont. In einer Überlebenssituation werden die Symptome der Seekrankheit durch Angst verstärkt.
Immun gegen das Übel sind nur Kinder unter zwei Jahren. Bis zur Pubertät sind dann vor allen Jungen betroffen, im Erwachsenenalter jedoch deutlich mehr Frauen, vor allem während der Menstruation und der Schwangerschaft. Ab dem Klimakterium ist das Geschlechterverhältnis wieder ausgeglichen.
Im Gegensatz zu den Seefahrern der Antike ist der moderne Mensch dem Übel an Bord jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Hilfsmitteln oder Wirkstoffen, die die Symptome der Seekrankheit mildern können (siehe Kasten). Wer befürchtet, seekrank zu werden, kann sich bereits prophylaktisch Akupressurbänder an den Innenseiten der Handgelenke anlegen oder eine Brille mit künstlichem Horizont aufsetzen. Außerdem sollte darauf geachtet werden, keine voluminösen Mahlzeiten einzunehmen und auf histaminhaltige Speisen wie Salami, Hartkäse, Sauerkraut oder Thunfisch aus der Dose zu verzichten. „Auch Schokolade, Knabbergebäck, Rotwein, Kaffee oder grüner Tee sollten vermieden werden“, nennt Kohfahl weitere Beispiele aus einer längeren Liste problematischer Lebensmittel.
Medikamente, die für die Therapie der Seekrankheit zugelassen sind, können sowohl prophylaktisch als auch zur Linderung bereits bestehender Beschwerden eingenommen werden. „Allerdings sind auch sie nicht zu 100 Prozent wirksam und können mit relevanten Nebenwirkungen wie Müdigkeit und verlängerten Reaktionszeiten einhergehen“, so der Cuxhavener Reisemediziner. Für Schiffspersonal in verantwortlicher Position seien sie daher nicht geeignet. Auch sollte beachtet werden, dass die orale Einnahme bei fortgesetztem Erbrechen unmöglich ist. Manche Präparate gibt es daher auch als Zäpfchen oder Pflaster zu kaufen.
Wenn sich bereits ein erstes Unwohlsein ankündigt, rät Kohfahl dazu, aktiv gegenzusteuern. Das kann zum einen über eine ablenkende Beschäftigung sein – möglichst an Deck, an der frischen Luft und mit dem Horizont im Blick. Auch eine bewusste Atmung kann die Übelkeit lindern: Üblicherweise atmet man bei Vorwärtsbeugung des Oberkörpers aus und beim Zurückbewegen ein. Man soll jetzt genau das Gegenteil tun nämlich beim Vornüberbeugen einatmen und in der Rückwärtsbewegung ausatmen. „Auch die Wahl des Aufenthaltsortes spielt eine Rolle“, so Kohfahl weiter. Am ruhigsten ist die Fahrt nahe der Wasserlinie und in der Mitte des Schiffes. Wer sich hinlegen möchte, sollte dies bevorzugt in Rückenlage tun, die Augen schließen und auf Besserung am nächsten Tag hoffen. Denn die gute Nachricht für Schiffsurlauber ist, dass nach 24 Stunden an Bord meist eine Gewöhnung einsetzt. Die Symptome der Seekrankheit klingen dann von selbst ab, auch die möglicherweise eingenommenen Medikamente können dann oft schon wieder abgesetzt werden.
Aktiv gegen die Seekrankheit – was hilft?
Zur Vorbeugung:
- Akupressurbänder beidseitig an den Innenseiten der Handgelenke anlegen
- Brille mit künstlichem Horizont aufsetzen
- Vitamin C oder Ingwer wirken gegen Übelkeit
- Kohlenhydrathaltige, aber nicht zu üppige Mahlzeiten einnehmen
- Histaminhaltige Nahrung meiden
Prophylaktisch und akut wirkende Medikamente
Manche antiemetischen, also die Übelkeit dämpfenden Medikamente, die für die Seekrankheit zugelassen sind, enthalten die Wirkstoffe Dimenhydrinat, Cinnarazin, Scopolamin oder Promethazin. Als Nebenwirkungen treten jedoch oft Müdigkeit und eine verlängerte Reaktionszeit auf – für Mitglieder der Schiffsführung sind die Wirkstoffe daher tabu.
Hilfe bei akuten Beschwerden
- Beschäftigung suchen/Ablenken
- spezielle Atemtechnik
- Blick auf den Horizont
- Aufenthalt möglichst nahe der Schiffsmitte
- In Rückenlage legen, Augen schließen