Autoimmunerkrankung Migräne? Vergleichende Übersichtsstudie findet Hinweise auf Angriffe der Immunabwehr gegen körpereigene Substanzen bei Migränepatienten
Original Titel:
Comorbid association of antiphospholipid antibodies and migraine: A systematic review and meta-analysis.
Wenn der Körper Zellmembranen angreift, kann er dies mit Antikörpern gegen die Hauptbestandteile der Zellwände und Zellstrukturen tun. Dazu gehören zum Beispiel die Phospholipide, unter denen es verschiedene Typen gibt. Schließlich haben verschiedene Zellstrukturen unterschiedliche Aufgaben und sind daher auch spezialisiert aufgebaut. In den Kraftwerken der Zellen, den Mitochondrien, findet man beispielsweise die Cardiolipine (so benannt, weil sie ursprünglich im Herz entdeckt wurden). Ein weiterer wichtiger Bestandteil von Zellmembranen sind die Glykoproteine, Eiweißstoffe mit angehängten Zuckerketten. Eine weitere Struktur, die bei körpereigenen Angriffen auffällig sein kann, ist das sogenannte Lupus-Antikoagulans. Dieses Phospholipid, das bei der Blutgerinnung wichtig ist, wird bei Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Lupus erythematodes angegriffen. Gegen diese verschiedenen körpereigenen Stoffe können Antikörper gebildet werden – der Körper greift seine eigenen Strukturen an und ruft so verschiedenste Krankheitssymptome hervor. Bei Kopfschmerzerkrankungen wurden inzwischen vermehrt Hinweise auf Antikörper gegen körpereigene Phospholipide gefunden. Ziel dieser von Immunologen und Genwissenschaftlern an der Universität Sains Malaysia in Kelantan in Malaysia durchgeführten Studie war daher, die Studien der letzten Jahre zusammenzufassen und zu überprüfen, ob eine autoimmune Begleiterkrankung bei Migräne häufiger auftritt als bei gesunden Kontrollen. Dazu wurde nach Studien gesucht, die Antikörper gegen Membranbestandteile untersuchten, wie sie typischerweise bei Autoimmunerkrankungen auftauchen können.
Die Forscher durchsuchten dazu verschiedene Datenbanken: PubMed, ISI Web of Science und Google Scholar. Studien aller Sprachen und bis zum Oktober 2016 wurden akzeptiert und anschließend nach verschiedenen Kriterien genauer ausgewählt. Die Arbeiten wurden auf ihre wissenschaftliche Qualität hin überprüft. Gleichzeitig wurde überprüft, ob Studien im Wesentlichen Duplikate derselben Studie darstellten.
Es konnten 1995 Artikel gefunden werden, von denen nach den Auswahlkriterien 13 übrig blieben. Die in diesen Veröffentlichungen beschriebenen Studien untersuchten 912 Migränepatienten und verglichen sie mit 822 gesunden Kontrollen. Im Mittel fanden sich bei den Migränepatienten häufiger Antikörper gegen körpereigene Substanzen, also eine Autoimmunaktivität, als bei den Kontrollteilnehmern. Fast jeder 10. Migränepatient, fünfmal so viele wie bei den Gesunden, hatte Antikörper gegen die Cardiolipine der Mitochondrien. Jeder 7. Mensch mit Migräne (fast doppelt so viele wie bei den Gesunden) hatte auch Anzeichen einer Immunantwort gegen die körpereigenen Glykoproteine. 4 % der Migränepatienten hatten auch das für verschiedene Autoimmunerkrankungen typische sogenannte Lupus-Antikoagulans. Davon waren damit 3-mal mehr Migränepatienten als gesunde Menschen betroffen. Statistisch klar häufiger als bei Gesunden waren dabei die Antikörper gegen Cardiolipine und gegen Glykoproteine. Das Lupus-Zeichen dagegen war rechnerisch nicht eindeutig häufiger bei Migränepatienten. Die Mehrheit der Studien (10 von 13) war dabei von wissenschaftlich guter Qualität, wie mit der standardisierten Newcastle-Ottawa-Skala ermittelt wurde.
Damit zeigt sich, dass die Immunabwehr eines Teils der Migränepatienten körpereigene Substanzen angreift. Die Zahl der Betroffenen ist dabei deutlich höher als bei der sonstigen Bevölkerung zu erwarten wäre. Dies kann darauf hindeuten, dass auch die Migräne eine Autoimmunerkrankung ist. Wie schon in vorherigen Studien vermutet, könnten also speziell die Antikörper gegen Zellwandstrukturen (anti-Glykoproteine, speziell anti-β2GPI) und gegen die Kraftwerke der Zellen, der Mitochondrien (anti-Cardiolipine) eine Rolle bei einer Migräneattacke spielen und zukünftig Behandlungsziele darstellen.
Was bedeutet dies nun für Sie als Patienten? Manche Medikamente, die gegen die Migräne wirken, werden auch bei rheumatischen und anderen Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Gleichzeitig eröffnen sich mit einem besseren Verständnis der Erkrankung auch neue Therapieansätze. Die Diagnose Autoimmunstörung ist damit nicht nur mit erhöhten Problemen und Risiken, sondern auch mit Behandlungschancen verbunden.
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