Simvastatin fördert Frontalhirnfunktionen und die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Multipler Sklerose
Original Titel:
Effect of high-dose simvastatin on cognitive, neuropsychiatric, and health-related quality-of-life measures in secondary progressive multiple sclerosis: secondary analyses from the MS-STAT randomised, placebo-controlled trial
Die langfristige Entwicklung von Denkleistung oder geistigen Funktionseinbußen, neuropsychiatrischen Symptomen wie Depressionen oder Ängsten und allgemein der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit Multipler Sklerose ist nicht gut untersucht. Dies trifft umso mehr auf Patienten mit der aggressiveren Form der sekundär progredienter Multiplen Sklerose zu, bei der nach einer schubförmigen Phase die Erkrankung kontinuierlich fortschreitet. Typischerweise sind Studien durch zu kleine Teilnehmerzahlen eingeschränkt oder untersuchen eine große Patientengruppe mit vielen verschiedenen Subtypen der Multiplen Sklerose. In einer größeren Studie mit Patienten, die unter primär progredienter Multipler Sklerose litten, zeigten sich bei einem Drittel der Patienten innerhalb von 2 Jahren unter anderem Funktionsstörungen im Wortgedächtnis, bei der Aufmerksamkeit und der räumlichen Logik.
Generell können Patienten mit Multipler Sklerose auch unter neuropsychiatrischen Symptomen leiden. Beispielsweise sind 20 % der Patienten von Depressionen, 9 % von Ängsten betroffen und 5 % leiden an der Bipolaren Störung. Es ist unklar, wie genau die Autoimmunerkrankung mit diesen Symptomen zusammenhängt und ob sich diese Erkrankungen gegenseitig bedingen. In der klinischen Studie MS-STAT konnte gezeigt werden, dass eine hohe Dosierung von Simvastatin den auf das Jahr umgerechneten Verlust an Nervengewebe im Gehirn (Atrophie) bei Patienten mit sekundär progredienter Multipler Sklerose reduzieren kann. In der Studie von Dr. Chan und Kollegen unter Leitung des Neurologen Dr. Chataway am Multiple Sklerose-Zentrum des University College London in Großbritannien analysierten nun die Ergebnisse der MS-STAT-Studie mit Fokus auf neuropsychiatrische Symptome und die Entwicklung der Denkleistung bei den behandelten Patienten.
MS-STAT war eine im Doppelblindverfahren durchgeführte Studie, in der Patienten mit sekundär progredienter Multipler Sklerose zufällig entweder Simvastatin oder Placebo zugeteilt wurde. Die Studie wurde an 3 Neurowissenschaftlichen Zentren in Großbritannien zwischen Januar 2008 und November 2011 durchgeführt. Die Patienten waren zwischen 18 und 65 Jahre alt, waren durch die Erkrankung deutlich beeinträchtigt, konnten allerdings noch kurze Strecken selbständig gehen und in einem gewissen Rahmen arbeiten (exanded disability status scale, EDSS-Skalawert 4,0 – 6,5). Die Patienten litten mindestens seit zwei Jahren an der sekundär progredienten Form der Multiplen Sklerose und nahmen keine krankheitsmodifizierenden Medikamente ein.
70 Patienten wurden der Simvastatingruppe zugeteilt, 70 Patienten erhielten Placebo. Zur Abschätzung der Denkleistungsentwicklung wurden unterschiedliche Fragebögen und Tests eingesetzt, die teils zu Studienbeginn als auch nach 12 und 24 Monaten ausgefüllt wurden. Dazu gehörten ein Lesetest (national adult reading test, NART), ein allgemeiner Intelligenztest (Wechsler abbreviated scale of intelligence, WASI), die Überprüfung von Gedächtnis und Informationsverarbeitung (Birt memory and information processing battery, BMIPB), Tests zur Überprüfung der räumlichen Wahrnehmung (visual object and space perception battery, VOSP). Zusätzlich wurden Leistungen des Gehirnteils überprüft, der hinter der Stirn liegt, das Frontalhirn. Veränderungen oder Schädigungen dort gehen typischerweise einher mit eingeschränkter mentaler Flexibilität, Problemen bei der Impulskontrolle oder dem planvollen Umgang mit der Umwelt (frontal assessment battery, FAB). Weiter wurden depressive Symptome mit der Hamilton Depressionsbewertungsskala (HAM-D) sowie verschiedene weitere neuropsychiatrische Symptome (neuropsychiatric inventory questionnaire, NPIQ) abgefragt. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mit einem standardisierten Fragebogen (36-item short form survey, SF-36) ermittelt.
Zu Beginn der Studie zeigten bereits 60 (45 %) der 133 teilnehmenden Patienten Einschränkungen in der Frontalhirn-Testreihe (FAB). Bis zu 43 (33 %) von getesteten 130 Patienten zeigten nicht-alterstypische Gedächtnisleistungen (BMIPB). Über den gesamten Studienzeitraum nahmen vor allem die Gedächtnisleistung der Patienten, sowohl im verbalen als auch nonverbalen Bereich, ab (- 6,8 Punkte). Zudem fanden die Forscher, dass 76 (57 %) von 133 Patienten unter Depressionen litten (35 % mild, 16 % moderat, 6 % schwer). Die Analyse dieser Denkleistungstests zeigte schließlich, dass die Patienten von einer Behandlung mit Simvastatin profitierten. Nach 24 Monaten erreichte die Wirkstoffgruppe im Schnitt einen um 1,2 Punkte höheren Wert in den Frontalhirntests (FAB) als die Placebogruppe. Dabei hatten sich die Testwerte bei den behandelten Patienten auch im Vergleich zur Messung zu Beginn der Studie verbessert (+ 0,3 Punkte), wohingegen die Werte der Placebogruppe im Laufe der Zeit schlechter geworden waren (- 0,9 Punkte). Auch bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, vor allem bei körperlichen Aspekten, ging es den Simvastatin-Patienten nach eigenen Angaben im SF-36-Fragebogen um 2,5 Punkte besser als den Kontrollpatienten. Weiter unterschieden sich Simvastatin- und Placebogruppe nicht.
Simvastatin kann also einen positiven Effekt auf die Funktion des Frontalhirns und auf körperliche Aspekte der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit sekundär progredienter multipler Sklerose haben. Obwohl keine weiteren statistisch signifikanten Effekte gefunden wurden, unterstreicht diese Studie damit die Bedeutung der Überprüfung von Denkleistungen, neuropsychiatrischen Symptomen und Lebensqualität in Behandlungsstudien bei der Multiplen Sklerose.
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