Weniger Suizide im ersten Lockdown 2020
Leipzig/ Frankfurt am Main – Die Suizidsterblichkeit während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 war signifikant niedriger als erwartet. Das zeigt ein gerade veröffentlichter Fachartikel unter Beteiligung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention in PLOS ONE (https://doi.org/10.1371/journal.pone.0289136). Untersucht wurde, ob sich die Suizidraten in Deutschland 2020 während des Lockdowns und in Zeiten ohne Lockdown im Vergleich zu einer zehnjährigen Baseline veränderten.
Die geringeren Suizidzahlen zu Beginn der COVID-19-Pandemie decken sich mit Befunden aus anderen Ländern. Neu ist jedoch die Analyse der wöchentlich aufgeschlüsselten
Suizidzahlen, die eine Untersuchung des Zeitraumes des ersten Lockdowns möglich macht. Gründe für den Rückgang der Suizide in dieser Zeit könnten die erhöhte soziale Kontrolle durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, der erschwerte Zugang zu verschiedenen Suizidmethoden (z.B. Schienensuizide) und beschränkte Möglichkeiten zum Suizid in den eigenen vier Wänden sein.
Zum Hintergrund:
Mehrheit der Suizide erfolgt im Kontext psychischer Erkrankungen
2020 verstarben in Deutschland 9.206 Menschen durch Suizid. Die Zahl der Suizidversuche wird mehr als 20-mal so hoch geschätzt. Suizide erfolgen fast immer vor dem Hintergrund einer nicht optimal behandelten psychischen Erkrankung, am häufigsten einer Depression.
„So geht Depression mit großem Leiden und tiefer Hoffnungslosigkeit einher – mehr als bei den meisten anderen Erkrankungen. Bestehende Probleme werden in der Depression vergrößert und als unlösbar wahrgenommen. In ihrer Verzweiflung sehen Menschen dann im Suizid den einzigen Weg, diesem unerträglichen Zustand zu entkommen“, erklärt Prof. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention und Mitautor der Studie.
Wie Suizidprävention gelingen kann: international etablierter 4-Ebenen-Ansatz
Der von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention unter Leitung von Prof. Ulrich Hegerl entwickelte gemeindebasierte 4-Ebenen-Interventionsansatz ist nach systematischer Auswertung der internationalen, wissenschaftlichen Literatur das weltweit beste Programm zur Prävention von Suizidversuchen und Suiziden (Linskens et al. 2022).
Es ist zudem bereits in mehr als 120 Regionen in 20 Ländern implementiert worden und damit das weltweit am häufigsten eingesetzte Suizidpräventionsprogramm. Der 4-Ebenen-Ansatz verbindet zwei Ziele: die bessere Versorgung von Menschen mit Depression und die Prävention von Suiziden sowie Suizidversuchen. In einer umschriebenen Region (Stadt, Gemeinde) werden dafür gleichzeitig Interventionen auf vier Ebenen gestartet:
• Kooperation mit Hausärzten (u.a. Schulungen)
• Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Plakatkampagne, öffentliche Veranstaltungen)
• Schulungen von Multiplikatoren (z.B. Pfarrer, Lehrer, Journalisten, Altenpflegekräfte, Polizisten)
• Unterstützung für Betroffene und deren Angehörige, u.a. durch Informationsmaterialien, die Förderung der Selbsthilfe und das digitale Selbstmanagement-Programm FightDepression (tool.ifightdepression.com/).
Hinweis an die Redaktionen:
Die Berichterstattung über Suizide ist mit einer besonderen Verantwortung verbunden, damit es nicht zu Nachahmungen kommt (Werther-Effekt). In einem Medien-Guide hat die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention die wichtigsten Regeln zur Berichterstattung über Suizide zusammengefasst. Sie finden die Richtlinien hier:
www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/berichterstattung-suizide
Über die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention:
Depression erforschen – Betroffenen helfen – Wissen weitergeben
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention hat sich die bessere Versorgung depressiv erkrankter Menschen und die Reduktion der Suizide in Deutschland zum Ziel gesetzt. Vorstandsvorsitzender ist Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Die Schirmherrschaft hat der Entertainer und Schauspieler Harald Schmidt übernommen. Neben Forschungsaktivitäten bietet die Stiftung Betroffenen und Angehörigen unter ihrem Dach vielfältige Informations- und Hilfsangebote wie das deutschlandweite Info-Telefon Depression. In 90 Städten und Kommunen haben sich Bündnisse gebildet, die auf lokaler Ebene Aufklärung über die Erkrankung leisten. Die Arbeit erfolgt pharma-unabhängig.
www.deutsche-depressionshilfe.de
Quellen
Elsner, A., Mergl, R., Allgaier, A. K., & Hegerl, U. (2023). Suicide rates during and after the first COVID-19 lockdown in
Germany in 2020. Plos one, 18(9), e0289136.
Linskens, E. J., Venables, N. C., Gustavson, A. M., Sayer, N. A., Murdoch, M., MacDonald, R., Ullman, K. E., McKenzie,
L. G., Wilt, T. J., & Sultan, S. (2022). Population- and community-based interventions to prevent suicide: A systematic review. Crisis, 44(4), 330-340.
Statistisches Bundesamt (2020). Todesursachenstatistik: Sterbefälle nach äußeren Ursachen und ihren Folgen.
https://www.gbe-bund.de