Ist Meditieren eine echte Behandlungsalternative bei chronischer Migräne?
Original Titel:
Mindfulness and pharmacological prophylaxis after withdrawal from medication overuse in patients with Chronic Migraine: an effectiveness trial with a one-year follow-up.
Eine chronische Migräne, bei der Patienten an mindestens 15 Tagen im Monat an Kopfschmerzen zum Teil mit Migränesymptomen leiden, lässt sich noch schwerer behandeln, wenn zu häufig Schmerzmittel eingenommen werden. Dann entwickelt sich ein kaum zu durchbrechender Teufelskreis aus Schmerz, Arzneimitteleinnahme und medikationsbedingtem Schmerz. Ein alternativer, nichtpharmakologischer Behandlungsansatz ist daher gerade bei chronischer Migräne von großer Bedeutung. Dr. Grazzi und Kollegen vorwiegend italienischer Institute (2017) untersuchten daher über ein Jahr hinweg die Wirksamkeit der Achtsamkeitsmeditation auf den Schmerz bei chronischen Migränepatienten und verglichen diese mit gängigen vorbeugenden (prophylaktischen) Medikamenten.
44 Patienten mit chronischer Migräne und Medikamentenübergebrauch (nach Punkt 1.3 und 8.2 der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen) nahmen an einem Schmerzmittelentzugsprogramm in einer Tagesklinik teil. Im Anschluss an den Entzug wurden die Patienten entweder mit einem Medikament zur Vorbeugung von Migräneattacken behandelt (Med-Gruppe) oder nahmen an einem Achtsamkeitsmeditationstraining (englisch mindfulness-based training, MT-Gruppe) teil. Das Training bestand aus 6 wöchentlichen Sitzungen mit angeleiteter Meditation. Die Patienten wurden zusätzlich dazu ermuntert, täglich 7 – 10 min zu üben. Um die Wirkungen dieser Behandlungsmethoden auf die Kopfschmerzen zu überprüfen, führten die Patienten ein Kopfschmerztagebuch und führten verschiedene Tests durch: zur Einschätzung der Beeinträchtigung durch den Kopfschmerz (headache impact test, HIT-6), wie stark die Migräne die Patienten im Leben behinderte (migraine disability assessment, MIDAS), ein Fragebogen zu Angstgefühlen (STAI Y1-Y2) sowie zu Symptomen der Depression (Beck depression inventory, BDI). Diese Werte wurden vor dem Entzug und anschließend jeweils nach 3, 6, und 12 Monaten aufgenommen und zwischen Med- und MT-Gruppe verglichen.
Die 44 Teilnehmer waren im Mittel 44,5 Jahre alt, hatten im Durchschnitt zu Beginn der Studie an 20,5 Tagen pro Monat Kopfschmerzen und nahmen dafür monatlich im Schnitt 18,4 Tabletten ein. Für beide Behandlungsgruppen zeigten die Messwerte vergleichbare Verbesserungen der Kopfschmerzhäufigkeit (etwa 6–8 Tage weniger), des Medikamentengebrauchs (etwa 7 Einnahmen weniger) sowie in den Behinderungswerten (MIDAS) und dem Depressionswert BDI. In der Beeinträchtigungsskala HIT-6 zeigte sich lediglich für die MED-Gruppe eine Verbesserung. Es wurden keine Änderungen hinsichtlich der Angstgefühle gemessen. Beide Gruppen zeigten deutliche Verbesserungen in einem klassischen Wirkziel der Migräneforschung: der 50%igen Verringerung von Kopfschmerzattacken im Vergleich zur Grundlinie vor der Behandlung. Die Behandlungseffekte bewirkten sogar, dass die Mehrzahl der Patienten beider Gruppen nicht weiter den Kriterien der chronischen Migräne entsprachen.
Zusammenfassend zeigte diese Studie, dass Patienten mit chronischer Migräne mit Medikamentenübergebrauch im Anschluss an einen Medikamentenentzug sowohl mit Medikamenten zur Migräneprophylaxe als auch fast gleichwertig mit dem alternativen Ansatz der Achtsamkeitsmeditation behandelt werden könnten. Der langfristige Effekt der alternativen Methode erlaubt es damit womöglich, genauso wie die pharmakologische Therapie, die Kopfschmerzhäufigkeit so sehr zu reduzieren, dass die Patienten nicht nur weniger beeinträchtigt sind, sondern sogar von der chronischen Form der Migräne befreit werden könnten. Wer eine funktionierende Prophylaxe hat, sollte sie sicher nicht spontan durch Meditation ersetzen. Wem dieser Ansatz als ergänzende Therapie über längere Zeit spürbar hilft, kann aber womöglich mit dem behandelnden Arzt eine Anpassung von Medikament oder Dosierung besprechen.
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