Vergleich von Agomelatin und Vortioxetin zeigt durchweg gute antidepressive Wirkung, wenn andere Antidepressiva gescheitert sind
Original Titel:
Efficacy and tolerability of vortioxetine is independent of previous treatment in MDD patients switched after an inadequate response
Manche Studien muss man, selbst wenn sie interessant sind, mit viel Vorsicht lesen. Eine aktuelle Studie zum Antidepressivum Vortioxetin beispielsweise wurde nicht nur von der Firma, die das Medikament vertreibt, finanziert. Sie war auch im Studiendesign, Datenaufnahme, Analyse und Interpretation der Daten, dem Schreiben des Artikels sowie der Entscheidung, ob dieser Bericht schließlich veröffentlicht werden sollte, involviert. Dies kann also ein Beispiel für eine sehr starke Voreingenommenheit (oft auch Bias genannt) gelten. Schließlich möchte die Pharmafirma Geld mit ihrem Medikament verdienen und ist daher interessiert daran, das Mittel im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Wir berichten von dieser Studie, da sie Patienten mit Depressionen durchaus interessante und auch vertrauenswürdige Information bieten kann. Der Psychiater Dr. Papakostas vom renommierten Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School in Boston in den USA und seine Kollegen untersuchten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Vortioxetin, und ob dies mit einer vorherigen Behandlung mit Antidepressiva der Wirkstoffklassen SSRI oder SNRI zusammenhing. Ziel der Studie war es dabei, die Vorteile von Vortioxetin herauszustellen, speziell im Vergleich zur derzeit stärksten antidepressiven Konkurrenz, dem Agomelatin.
Die Patienten wurden zufällig entweder einer 3-monatigen Behandlung mit Vortioxetin (10–20 mg/Tag) oder mit Agomelatin (25–50 mg/Tag) zugeordnet. Welches Medikament sie erhielten, war dabei weder den Patienten noch den behandelnden Ärzten bekannt (randomisierte Doppelblindstudie). Die Wirksamkeit der Behandlung wurde nach 8 Wochen mit Hilfe der Montgomery-Asberg Depressionsbewertung ermittelt.
An dieser Studie nahmen 493 Patienten teil, die zuvor eine Behandlung mit SSRI (Citalopram, Escitalopram, Paroxetin oder Sertralin) oder SNRI (Duloxetin oder Venlafaxin) erhalten hatten, aber bei denen diese Medikamente nicht ausreichend gegen die Depression geholfen hatten. Im Mittel waren die Patienten etwa 46 Jahre alt und litten seit 4–5 Monaten unter ihrer aktuellen depressiven Episode. Im Schnitt hatten die Patienten vorher etwa 1–2 depressive Episoden erlebt. Im Mittel galten die Patienten nach der Montgomery-Asberg Depressionsbewertungsskala (MADRS) mit durchschnittlich 29 Punkten als moderat depressiv. Zusätzlich litten die Patienten unter milden bis moderaten Ängsten (HAM-A-Skala, durchschnittlich 21 Punkte).
Im Ergebnis zeigte sich, dass die meisten Patienten von beiden Medikamenten sehr profitieren konnten: die depressiven Symptome wurden deutlich bereits innerhalb der ersten 8 Wochen besser. Mit Agomelatin sank der MADRS-Wert um fast 15 Punkte, mit Vortioxetin um 17 Punkte, wenn die Patienten zuvor ein SSRI-Antidepressivum erhalten hatten. Waren sie mit einem SNRI behandelt worden, sank der MADRS ebenfalls um fast 14 Punkte (Agomelatin) und um fast 16 Punkte (Vortioxetin). Die Verbesserung der Symptome nahm im dritten Behandlungsmonat weiter um jeweils etwa 2 Punkte auf der MADRS-Skala zu. Im Mittel erreichten die Patienten also mithilfe beider Medikamente etwa einen MADRS-Wert von etwa 11 oder 12. Sie galten damit im Mittel nur noch als mild depressiv. Die Wirksamkeit beider Medikamente bei Patienten, die vorher erfolglos einmal mit Antidepressiva der SSRI- oder SNRI-Klasse behandelt worden waren, war also deutlich und durchaus sehr ähnlich.
Der Vergleich zwischen Agomelatin und Vortioxetin zeigte aber auch, dass Vortioxetin leicht besser zu wirken schien als Agomelatin: im Mittel ergab sich ein Unterschied von etwa 2 Punkten auf der MADRS-Skala. Der Unterschied war nach 2 Monaten Behandlungsdauer ersichtlich, trat aber besonders bei den Patienten auf, die zuvor mit einem SSRI-Mittel behandelt worden waren. Bei diesen war der Effekt auch nach 3 Monaten messbar.
Die Zahl der Studienabbrüche war vergleichbar über alle Gruppen hinweg (21 % mit Vortioxetin, 26 % mit Agomelatin). Auch die Zahl unerwünschter Ereignisse unterschied sich nur geringfügig. Insgesamt führten Nebenwirkungen oder andere unerwünschte Ereignisse bei 6 % der Vortioxetingruppe und bei 10 % der Agomelatingruppe zum Studienabbruch. Etwa die Hälfte der Patienten berichtete mindestens ein unerwünschtes Ereignis – unabhängig davon, welches Medikament eingenommen worden war. Mit Vortioxetin trat vor allem Übelkeit als Nebenwirkung auf und betraf 16 % der Patienten. Mit Agomelatin war diese Nebenwirkung deutlich seltener (9 %). Dafür führte Agomelatin etwas häufiger zu Kopfschmerzen, nämlich über alle Patienten betrachtet bei 13 % statt bei 10 % mit Vortioxetin. Das Tag-Nacht-Rhythmik-Medikament Agomelatin hatte auch etwas häufiger Schläfrigkeit zur Folge (8 %) als das Mittel Vortioxetin (4 %).
Insgesamt zeigt sich damit, dass die Antidepressiva Vortioxetin und Agomelatin beide sehr gut solchen Patienten helfen können, deren Depressionen mit SSRI- oder SNRI-Antidepressiva nicht gelindert werden konnten. Die Symptome scheinen dabei etwas besser mit Vortioxetin bekämpft zu werden, allerdings ist der Unterschied im Vergleich zum gesamten Behandlungserfolg eher gering. Wesentlich dürfte im Vergleich der Medikamente eher sein, welches davon individuell besser verträglich ist. Interessant wäre nun zu erfahren, wie gut die Medikamente bei Depressionen im Rahmen der Bipolaren Störung wirken.
Um zum Anfangspunkt unseres Berichts zurückzukehren: Vorsicht und ein kritischer Blick sind immer geboten, vor allem aber, wenn Firmen stark in eine Studie eingebunden sind. Hier legte der originale Studienbericht den Schwerpunkt auf die Vorteile des Mittels Vortioxetin, statt auf den insgesamt beachtlichen Behandlungserfolg beider Mittel oder das unterschiedliche Nebenwirkungsprofil der Medikamente. Erfahrungsgemäß ist die Wirksamkeit von Antidepressiva sehr individuell – beide Mittel, Agomelatin und Vortioxetin, scheinen den aktuellen Daten nach beide durchaus einen Versuch wert, wenn andere Medikamente, ob SSRI oder SNRI, nicht genügend helfen.
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