Wie lange sollte eine antidepressive Behandlung dauern?
Original Titel:
Long-Term and Short-Term Antidepressant Use in General Practice: Data from a Large Cohort in the Netherlands
Dass eine Behandlung von Depressionen nicht optional ist, ist bekannt. Aber wie lange sollte eine solche Behandlung dauern, wenn einmal ein wirksames Medikament gefunden ist? Dazu gibt die Nationale Versorgungsleitlinie für die unipolare Depression folgende Anweisung: nach der Behandlung der akuten Depression sollte das wirksame Antidepressivum in der selben Dosis für mindestens weitere 4 bis zu 9 Monate eingenommen werden. In dieser Zeit soll sich die Stimmung, in Remission nach der Depressionsbehandlung, soweit stabilisieren, dass anschließend das Antidepressivum allmählich abgesetzt, also ausgeschlichen werden kann. Antidepressiva sind also normalerweise Akutmedikationen. Wissenschaftliche Studien untersuchen typischerweise die Wirksamkeit von Antidepressiva innerhalb eines kurzen Zeitraums – es geht hier schließlich meistens um eine rasche Eindämmung der Depressionen oder auch Ängste. Es war allerdings bisher nicht klar, wie viele Patienten auch langfristig antidepressiv behandelt werden. Eine niederländische Arbeitsgruppe rund um Dr. Huijbregts vom Amsterdamer Forschungsinstitut für öffentliche Gesundheit ermittelte nun, wie häufig antidepressive Behandlungen über die getesteten und empfohlenen Zeiträume hinaus verschrieben werden.
Rasche Eindämmung von Depressionen oder Ängsten, oder langfristige Behandlung?
Dazu analysierten die Forscher die medizinischen Daten einer großen Bevölkerungsgruppe, einer sogenannten Kohorte, nämlich der antidepressiv behandelten Patienten in und um Amsterdam in den Niederlanden. Dies schloss 156620 Patienten innerhalb des Zeitraums von 1995 bis 2015 ein. Analysiert wurden auch Faktoren, die besonders häufig zu langfristiger Behandlung führten. Als Langzeitbehandlung definierten die Forscher hier, wenn eine Behandlung über mehr als 15 Monate ging.
Die gefundene Häufigkeit der Langzeitbehandlung mit Antidepressiva war beträchtlich und schien mit den Jahren zuzunehmen. In den 10 Jahren von 1995 bis 2005 wurden ein Drittel (30,3 %) der Patienten langfristig antidepressiv behandelt. Von 2005 bis 2015 betraf dies dagegen schon 43,7 % der Patienten. Aber welche Patienten wurden nun besonders häufig über den leitliniengerechten Zeitraum hinaus behandelt? Besonders war dies bei den Patienten der Fall, die älter waren, die tatsächliche Diagnose einer Angsterkrankung oder unipolaren Depression hatten, oder denen Antidepressiva der SSRI- oder SNRI-Klasse (die beide auf den Gehirnbotenstoff Serotonin, auch Glückshormon genannt, wirken) verschrieben worden waren.
Häufige Langzeitbehandlung mit Antidepressiva besonders auch bei Ängsten und älteren Patienten
Die langfristige Verschreibung von Antidepressiva hat demnach zumindest in den Niederlanden beachtliche Ausmaße angenommen – war allerdings bereits vor 20 Jahren häufiger, als die Behandlungsleitlinien auf Grundlage der medizinwissenschaftlichen Evidenz (also der Forschungsergebnisse) empfehlen. Dieser langfristige Einsatz findet oft, schreiben die Autoren, scheinbar unkritisch statt – es ist also nicht klar, wozu diese ausgedehnte Behandlung dienen soll.
Leitliniengerechte Behandlung: akut plus 4-9 Monate bei Wirksamkeit, Wechsel bei Unwirksamkeit
Weitere Studien sollten nun klären, woran dieses Behandlungsverhalten liegt – werden Patienten zu häufig nicht ausreichend lang therapiert und erleiden einen Rückfall? Oder wirkt das Antidepressivum nicht ausreichend gut und sollte besser die Therapie gewechselt werden? Möglicherweise folgen manche Therapien, entgegen dem Stand der Forschung, auch der Sorge, keine Veränderungen ins einmal stabilisierte psychische System zu bringen. Auch wäre eine ähnliche Studie im deutschsprachigen Raum zum Vergleich sinnvoll. Wenn Sie als Patient Fragen zu Ihrer Behandlung haben, hilft Ihnen vielleicht eine Notiz auf unserem Merkzettel zum Arztgespräch bei Ihrem nächsten Termin.
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