Neuer Antibiotikaratgeber für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte vorgestellt / Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann: „Gemeinsam gegen resistente Keime – Antibiotika gezielt einsetzen“

Die Niedersächsische Gesundheitsministerin Carola Reimann besuchte heute das Niedersächsische Landesgesundheitsamt (NLGA). Ein wichtiges Thema war der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Anlässlich des Besuchs hat die Ministerin gemeinsam mit dem NLGA, der Ärztekammer Niedersachsen und der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen die Neuauflage des Antibiotika-Ratgebers für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte vorgestellt.

Der Ratgeber gibt in komprimierter Form praxisnahe Tipps, welche Antibiotika gezielt bei welchen Krankheiten verordnet werden können. Die Verringerung von Antibiotikagaben in Human- und Veterinärmedizin ist ein wesentlicher Baustein, um die Entstehung neuer Resistenzen einzudämmen. „Antibiotika müssen bei der Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten weiter wirksam bleiben“, sagt Dr. rer. nat. Carola Reimann, die für einen geringeren Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin wirbt: „Der Ratgeber zur Antibiotikatherapie ist ein wichtiger Eckpfeiler der gemeinsamen niedersächsischen Strategie gegen Antibiotikaresistenzen. Es wird deutlich, dass die im Rahmen der Strategie begonnenen Initiativen nachhaltig sind und weiter entwickelt werden.“

Jeder Einsatz von Antibiotika kann die Resistenzentwicklung befördern. Wichtig ist daher eine zielgerichtete Antibiotikatherapie, um die Resistenzbildung zu begrenzen. Deutschlandweit werden rund 85 Prozent der Antibiotika im ambulanten Bereich verordnet. „Der industrieunabhängige Ratgeber berücksichtigt sowohl aktuelle Leitlinien, als auch die derzeitige Resistenzsituation in Niedersachsen und soll niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten eine Entscheidungshilfe für einen zurückhaltenden und rationalen Einsatz von Antibiotika geben. Ich danke allen Expertinnen und Experten, die zum Ratgeber [ehrenamtlich] beigetragen haben“, sagt Dr. med. Matthias Pulz, Präsident des Landesgesundheitsamtes.

„Schon die erste Auflage des Antibiotikaratgebers hat sich in der Praxis für die angemessene, leitliniengerechte Therapie bei den häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten im ambulanten Bereich sehr bewährt. Wir freuen uns, dass nun die aktualisierte Neuauflage verfügbar ist“, sagt der stellv. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Dr. med. Jörg Berling. „Gerade im Rahmen der Polymedikation, auf die viele ältere Patienten angewiesen sind, ist ein zurückhaltender Einsatz von Antibiotika angezeigt. Auch hier ist weniger häufig mehr.“

Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Dr. med. Martina Wenker, ergänzt: „Die Entscheidung, ob und welches Antibiotikum eingesetzt wird, muss durch den behandelnden Arzt in jedem Einzelfall sorgfältig getroffen werden. Der Ratgeber ist eine wertvolle Hilfe bei dieser Entscheidung. Aber manchmal ist es auch schwierig, Patientinnen und Patienten zu vermitteln, dass ihnen kein Antibiotikum verordnet wird. Das Bewusstsein der Menschen für die Problematik der Antibiotikaresistenz muss noch verbessert werden.“

Um die Ärzte in der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten, die aktuell kein Antibiotikum benötigen, zu unterstützen, hat das Niedersächsische Gesundheitsministerium zusammen mit dem Landesgesundheitsamt einen Flyer erstellt mit dem Titel „Kein Antibiotikum! Warum?“, den Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitsministerium kostenfrei für die Abgabe an Patientinnen und Patienten bestellen können.

Der Antibiotikaratgeber wurde gemeinsam mit zahlreichen niedersächsischen Expertinnen und Experten vom NLGA entwickelt. Er wendet sich an niedergelassene Ärzte und beinhaltet explizit die Diagnostik und orale Therapie leichter bis mittelschwerer Infektionen, die häufig im ambulanten Bereich behandelt werden. Alle Empfehlungen beruhen auf aktuellen Literaturangaben, den Empfehlungen der jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften, den verfügbaren nationalen Leitlinien sowie den vorhandenen lokalen Resistenzdaten aus ARMIN (Antibiotika-Resistenz-Monitoring in Niedersachsen). In der Neuauflage werden inzwischen aktualisierte Leitlinien und Empfehlungen berücksichtigt.

Der Ratgeber kann gegen eine Schutzgebühr von 10 €/Stück (inkl. Versand) über die NLGA-Internetseite bestellt werden. Mit dem Erwerb der gedruckten Broschüre ist bei der zweiten Auflage jetzt auch der Zugang zu einer digitalen Version im pdf-Format verbunden.

Zu den Maßnahmen des Sozialministeriums und Landesgesundheitsamtes zählen folgende weitere Projekte im Rahmen der gemeinsamen niedersächsischen Strategie gegen Antibiotikaresistenz:

  • ARMIN (Antibiotika-Resistenz-Monitoring in Niedersachsen) bietet Fachinformationen zur Resistenzlage in Niedersachsen. Die Daten gewinnt das NLGA in enger Zusammenarbeit mit 13
    niedersächsischen Laboren. Dieses Instrument ist eine Grundlage für die Beratung zur Antibiotikatherapie und eine Möglichkeit, Entwicklungen über die Zeit zu beobachten und damit auch zu evaluieren, ob die Maßnahmen greifen.
  • Unterstützung der Gesundheitsämter bei den Hygienebegehungen in Krankenhäusern. Dabei werden neben reinen Hygienekontrollen sowohl die Konzepte für einen gezielten und richtigen
    Antibiotikaeinsatz als auch die Strukturen zur Erkennung der Verbreitung von resistenten Bakterien geprüft.
  • Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen für Antibiotikabeauftragte Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern.
  • Zahlreiche regionale Netzwerke zur Bekämpfung multiresistenter Erreger (MRE-Netzwerke) werden im Landesgesundheitsamt koordiniert. Auf der Webseite www.mre-netzwerke.niedersachsen.de sind Informationen für Patientinnen und Patienten und für Fachleute zum Thema Hygiene und zum Umgang mit
    multiresistenten Erregern zu finden.

Links und Zusatzinformationen:

 

Hintergrundinformationen zur Antibiotikaresistenzentwicklung und zur niedersächsischen Strategie gegen Antibiotikaresistenz

Antibiotika sind Arzneimittel gegen bakterielle Infektionen. Sie können bereits in geringen Mengen die Vermehrung von Bakterien hemmen oder sie abtöten und gehören zu den wichtigsten Medikamenten im Kampf gegen Infektionskrankheiten.
„Antibiotikaresistent“ werden solche Bakterien bezeichnet, die sich Eigenschaften angeeignet haben, dass vormals wirksame Antibiotika nicht oder nur eingeschränkt wirksam sind.
In den letzten Jahren hat der Anteil an antibiotikaresistenten Bakterien für manche Bakterienstämme zugenommen. Daher zählt die Entwicklung der Antibiotikaresistenz zu den vordringlich zu lösenden Problemen im Bereich der Gesundheit von Mensch und Tier.
Jeder Einsatz von Antibiotika kann die Resistenzentwicklung befördern. Wichtig ist daher eine zielgerichtete Antibiotikatherapie in der Human- wie auch der Veterinärmedizin, um die Resistenzbildung zu begrenzen.
Auch ohne direkten Antibiotikaeinfluss können sich Bakterien mit Resistenzeigenschaften epidemisch verbreiten. Dies erfolgt durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch, Tier zu Tier, oder auch zwischen Mensch und Tier und über Lebensmittel auf den Menschen sowie vom Menschen auf Lebensmittel.
Darüber hinaus spielen Umweltaspekte bei der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen eine Rolle. So können sowohl antibiotikaresistente Bakterien und deren Resistenzgene als auch Antibiotika in die Umwelt gelangen und darüber direkt oder indirekt das Vorkommen von Resistenzen befördern.
Erkrankungen durch Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien gehen durchschnittlich mit einem ernsteren und längeren Krankheitsverlauf und einer höheren Sterberate einher als dies für Erkrankungen durch Infektionen mit sensiblen Bakterien der Fall ist.
Strategien zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz müssen im Sinne eines One-Health-Ansatzes die wesentlichen Faktoren der Entstehung, Übertragung und Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien berücksichtigen und sich an unterschiedlichen Handlungsoptionen orientieren. Deshalb wurde in Niedersachsen eine gemeinsame institutionsübergreifende Strategie entwickelt. An der Strategieentwicklung waren das MS für die Humangesundheit, das ML für die Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit, das MU für Umweltbelange und das MWK für die Human- und Tiermedizin sowie für die Forschungseinrichtungen beteiligt. Niedersachsen ist als Agrarland mit intensiver Tierhaltung geeignet, den One-Health-Gedanken in besonderer Weise auszufüllen und beispielgebend für andere Regionen zu sein.