Zellgifte unter der Lupe

Forschende beleuchten Wechselwirkungen von Radionukliden mit Nierenzellen

Gelangen Radionuklide in unseren Organismus, beispielsweise durch Einatmen, Verschlucken oder über Wunden, sind sie ein potentielles Gesundheitsrisiko. Viele bisherige Studien zur Radionuklid-Belastung konzentrierten sich hauptsächlich auf Tierversuche. Daten zur Toxizität auf Zell- und Molekülebene sind dagegen selten. Nierenzellen sind hierbei von besonderem Interesse, da sie bei Säugetieren eine zentrale Rolle bei der Entgiftung von zwei-, drei- und sechswertigen Radionukliden und anderen Schwermetallen über die Urinausscheidung einnehmen. Ein Team des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und der TU Dresden findet dabei ein differenziertes Bild, wie die Forschenden im Journal Science of the Total Environment (DOI: 10.1016/j.scitotenv.2024.171374) berichten.

Da radioaktive Schwermetalle in der Erdkruste vorkommen, können sie durch geologische Prozesse wie Verwitterung und Erosion freigesetzt und so in Gewässern, Böden und der Luft vorkommen. In den vergangenen 60 Jahren hat zudem die Verwendung von Radionukliden in Industrie, Medizin und Forschung stark zugenommen. Besonders durch Bergbau, Störfälle in Kernkraftwerken und Lecks in Rückhaltesystemen können diese Elemente in die Umwelt gelangen. In geringerem Maße trägt auch die Verwendung von Radionukliden in der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen zur Freisetzung bei.

„Eine akute oder chronische Exposition von Mensch und Tier mit radioaktiven Schwermetallen birgt mehrere Risiken aufgrund ihrer radio- und chemotoxischen Wirkung. Einmal aufgenommen, gelangen sie über das Blut auch zur Niere. Aufgrund ihrer Schlüsselstellung bei der Ausscheidung von Schwermetallen interessieren wir uns besonders für die Wechselwirkungen zwischen diesen Elementen und Nierenzellen“, beschreibt Dr. Astrid Barkleit vom HZDR-Institut für Ressourcenökologie den Fokus der Forschung.

In bisherigen Arbeiten standen vor allem Untersuchungen zur Akkumulation und Ausscheidung solcher Schwermetalle in beziehungsweise aus lebenden Menschen und Tieren im Vordergrund. Durch eine Kopplung mit mathematischen Modellen der Biokinetik lassen sich damit zwar Aussagen zur generellen Verteilung im Körper treffen, doch die biologisch-chemischen Ursachen bleiben im Dunkeln. Hier hat das Forschungsteam nachgehakt und vorrangig erkundet, welche Auswirkungen verschiedene Schwermetalle auf die Zellen haben und in welcher chemischen Form sie vorliegen. Diese Erkenntnisse sind wichtig, um geeignete Dekorporationsmittel zu finden: Komplexbildner, die unabsichtlich aufgenommene Metallionen möglichst schonend aus dem Körper befördern sollen.

„In unserer umfangreichen Studie haben wir die Auswirkungen von Barium(II), Europium(III) und Uran(VI) auf Nierenzellen von Mensch und Ratte in vitro, das heißt unter kontrollierten Laborbedingungen außerhalb des lebenden Organismus, vergleichend untersucht. Die Zellversuche wurden dabei im Zentralen Radionuklidlabor der TU Dresden durchgeführt. Sowohl dort als auch in den radiochemischen Kontrollbereichen am HZDR sind hochspezialisierte Analyseverfahren verfügbar, sodass wir eine einzigartige Kombination von zellkulturbasierten in-vitro-Assays und mikroskopischen, analytischen sowie spektroskopischen Methoden nutzen konnten. Dies ermöglichte uns, die Zelllebensfähigkeit, die Mechanismen des Zelltods und die intrazelluläre Metallaufnahme der exponierten Zellen zu erforschen. Außerdem konnten wir damit die Speziation der Schwermetalle, also die Verteilung der verschiedenen chemischen Bindungsformen eines Elements innerhalb eines Systems, im Zellkulturmedium und innerhalb der Zellen bestimmen“, erläutert Dr. Anne Heller von der Professur für Radiochemie und Radioökologie an der TU Dresden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse tragen zu einem besseren Verständnis der Wechselwirkungen dieser Schwermetalle auf zellulärer und molekularer Ebene bei.

Sorgfältig ausgesuchte Schwermetall-Palette

Die untersuchten Metallionen haben die Forschenden mit Bedacht gewählt. Barium(II) eignet sich als ungefährlicher Ersatz zum Studium von natürlich vorkommendem radioaktivem Radium(II). Nicht radioaktives Europium(III) ist, chemisch gesehen, den künstlich erzeugten radioaktiven Elementen Americium(III) und Curium(III) sehr ähnlich. Zudem lässt es sich aufgrund seiner ausgezeichneten Lumineszenzeigenschaften spektroskopisch hervorragend erfassen. Leicht lösliches Uran(VI) wiederum hat als natürlich vorkommendes Schwermetall eine besondere Bedeutung für die Radioökologie, speziell hier in Sachsen: Die Beseitigung der Hinterlassenschaften des sächsischen Uran-Bergbaus, insbesondere die Kontamination von Böden und Wässern, stellt eine große wirtschaftliche und technische Herausforderung dar. Darüber hinaus ist ein genaues Verständnis des Komplexierungsverhaltens von Schwermetallionen sowohl für allgemeine Aspekte des Strahlenschutzes als auch für die Sicherheitsbewertung von Endlagern für radioaktive Abfälle von entscheidender Bedeutung.

Um zu erforschen, in welcher chemischen Bindungsform Schwermetalle im Körper vorliegen, geben die Wissenschaftler*innen wässrige Metall-Lösungen zu den Zellen. Dabei verlieren die Schwermetallionen ihre ursprüngliche Wasserhülle und werden von zelleigenen Molekülen, so genannten Bioliganden, umgeben. Mit speziellen Techniken wie der Lumineszenz-Spektroskopie und der chemischen Mikroskopie konnten die Forschenden die Verteilung am Beispiel von Europium(III) in den Zellen sichtbar machen. Mittels Fluoreszenz-Mikroskopie konnte zudem gezeigt werden, wie sich die Zellen durch den Schwermetallkontakt veränderten: je nach Element schwollen die Zellen an, die Zellmembran fragmentierte oder Teile der Zellen lösten sich ab.

Diese Arbeiten sind Bestandteil des vom BMBF geförderten Verbundprojektes RADEKOR (FKZ 02NUK057A und B).

Publikation:

C. Senwitz, D. Butscher, L. Holtmann, M. Vogel, R. Steudtner, B. Drobot, T. Stumpf, A. Barkleit, A. Heller, Effect of Ba(II), Eu(III), and U(VI) on rat NRK-52E and human HEK-293 kidney cells in vitro, in Science of the Total Environment, 2024 (DOI: 10.1016/j.scitotenv.2024.171374)