Du kommst hier nicht rein! – Forscher finden neuen möglichen Therapieansatz zur Behandlung von MS

Original Titel:
EGFL7 reduces CNS inflammation in mouse.

Die Blut-Hirn-Schranke schützt unser zentrales Nervensystem vor negativen Einflüssen – und auch vor einer zu starken Immunreaktion. Bei Menschen mit MS kann die Blut-Hirn-Schranke aber ihre Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen. Forscher sind daher auf der Suche nach Möglichkeiten, um die Blut-Hirn-Schranke zu stärken.


Unser zentrales Nervensystem besteht aus Gehirn und Rückenmark. Es ist zuständig für alle Wahrnehmungen von innen und außen, ist Steuerzentrale für alle Bewegungen und die Abstimmung zwischen den einzelnen Organen und Körperfunktionen. Die Nervenzellen, aus denen es besteht, brauchen, um ihre Aufgabe erledigen zu können, eine ganz bestimmte Umgebung. Und so ein wichtiger Teil des Körpers braucht auch besonderen Schutz. Genau dafür sorgt die Blut-Hirn-Schranke.

Blut-Hirn-Schranke kontrolliert sehr streng, was ins zentrale Nervensystem hinein darf

Sie ist eine Art Türsteher an der Grenze zwischen den Blutgefäßen im zentralen Nervensystem und dem zentralen Nervensystem selbst. Die Blut-Hirn-Schranke wird aus einer Schicht bestimmter Zellen gebildet, die sehr eng miteinander verknüpft sind. Sie kontrollieren sehr streng, was ins zentrale Nervensystem hinein darf. Krankheitserreger, giftige Stoffe oder Botenstoffe wie Hormone, sollen nicht ins zentrale Nervensystem gelangen und können daher nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren. Bei manchen Medikamenten ist dies ebenfalls der Fall, was die Entwicklung solcher Medikamente, die im zentralen Nervensystem wirken sollen, erschwert.

Blut-Hirn-Schranke lässt nicht alle Immunzellen durch

Auch wie viele und welche Immunzellen im Gehirn und Rückenmark auf Patrouille gehen dürfen, wird durch die Blut-Hirn-Schranke kontrolliert. Entzündungen, die Schaden an den wichtigen Nervenzellen anrichten können, sind nicht erwünscht, aber trotzdem muss kontrolliert werden, dass keine Krankheitserreger sich durchgemogelt haben oder etwas mit einer körpereigenen Zelle nicht in Ordnung ist. Bei Multipler Sklerose funktioniert die Blut-Hirn-Schranke, was das angeht, aber nicht ganz einwandfrei, sie ist etwas undicht. Bestimmte Immunzellen dringen vermehrt ins zentrale Nervensystem ein und greifen dort die Schutzschicht der Nervenzellen aus Myelin an. Daher versucht man mit Medikamenten das Immunsystem zu schwächen oder die Einwanderung ins zentrale Nervensystem zu unterbinden, wie es z. B. der Wirkstoff Natalizumab tut.

Noch sind nicht alle Details dieser Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke aufgeklärt. Forscher der Universitätsmedizin Mainz haben aber mit Kollegen der Universität Montreal in Kanada einen neuen Therapieansatz in diesem Bereich entdeckt. Sie fanden heraus, dass ein bestimmtes Eiweiß namens EGFL 7 die Blut-Hirn-Schranke stabilisiert und die Einwanderung von Immunzellen begrenzt.

Eiweiß EGFL 7 stärkt Funktion der Blut-Hirn-Schranke auf mehreren Wegen

Der Ansatz der Forscher ist neu, denn bisher spielte EGFL 7 keine Rolle in der MS-Forschung. Auf die Spur gebracht wurden die Wissenschaftler von Ergebnissen der Krebsforschung: Hier wurde gezeigt, dass EGFL 7 von Zellen des Tumors produziert wird, und dafür sorgt, dass Immunzellen den Tumor in Ruhe lassen. Also schauten sie sich einmal an, wie es bei MS-Patienten und in Mäusen aussieht, die an einer ähnlichen Erkrankung litten, die als Modellsystem für die Erforschung von MS dient. Dabei stellten die Forscher fest, dass Entzündungen im zentralen Nervensystem dafür sorgen, dass die Zellen der Blut-Hirn-Schranke mit einer größeren Produktion von EGFL 7 versuchten, die gestörte Funktion zu kompensieren. Im Mausmodell zeigte sich, dass EGFL 7 Einfluss auf den Verlauf einer MS hat. Außerdem zeigten die Forscher im Mausmodell und mit menschlichen Zellen, dass bestimmte Immunzellen, die T-Zellen, an EGFL 7 binden. Das Eiweiß kann diese Immunzellen also festhalten oder abbremsen.

EGFL7 scheint Blut-Hirn-Schranke „abdichten“ zu können

Aus ihren Ergebnissen schließen die Forscher, dass das Eiweiß EGFL 7 in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke „abzudichten“ und gleichzeitig dafür sorgt, dass weniger T-Zellen in das zentrale Nervensystem einwandern können, indem es die Zellen ausbremst. Darin sehen die Forscher aus Mainz und Montreal einen neuen möglichen Therapieansatz, der auch noch einen entscheidenden Vorteil haben könnte: Statt das Immunsystem zu unterdrücken oder Immunzellen quasi vollständig aus dem zentralen Nervensystem zu verbannen, würde hier die normale „Türsteher“-Funktion der Blut-Hirn-Schranke gestärkt. Die Forscher hoffen, dass dadurch mögliche Risiken und Nebenwirkungen in der MS-Therapie gemindert werden können: Bei der Unterdrückung des Immunsystems werden die Patienten anfälliger für Infekte, wenn nicht mehr genug Immunzellen im zentralen Nervensystem patrouillieren, können Erreger, wie das JC-Virus, die sich dort verstecken, Schaden anrichten. Welche Nebenwirkungen eine vermehrte Produktion von EGFL 7 im Körper haben könnte, muss weitere Forschung erst noch zeigen.

Wirkstoff könnte zukünftig auch für MS-Patienten infrage kommen

Die Forscher sind zuversichtlich, dass Wirkstoffe, die sich aktuell für andere Erkrankungen in der Entwicklung befinden, auch für MS geeignet sein könnten. Es sind Wirkstoffe, die die Produktion von EGFL 7 in den Zellen der Blut-Hirn-Schranke ankurbeln sollen. Mit ihren neuen Ergebnissen zur Rolle von EGFL 7 haben die Forscher also nicht nur zum besseren Verständnis dieser feinen Grenze zwischen Blut und zentralem Nervensystem und ihrer Rolle bei Multipler Sklerose beigetragen, sondern auch einen möglichen neuen, interessanten Therapieansatz entdeckt.

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