Kliniken schließen ambulante Versorgungslücken – wie lange noch?

Stationäre Diabetesberatung muss gesichert werden!

Berlin Kommt es in der ambulanten Versorgung von Menschen mit Diabetes Typ 1 zu Engpässen, ist es wichtig, dass Betroffene in Notfällen, bei Problemen mit der Diabetestechnik und besonderen Stoffwechselproblemen Kliniken mit Diabetesexpertise aufsuchen können. Doch in Kliniken steht immer weniger Diabetes-Expertise zur Verfügung. Auch mit der Krankenhausreform droht ein diabetologischer Fachkräftemangel. Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) fordert daher, die stationäre Diabetesberatung in die geplanten Vorhaltepauschalen zu integrieren, um einem möglichen zukünftigen Versorgungsnotstand für Menschen mit Diabetes vorzubeugen. Auf einer Online-Pressekonferenz des VDBD am 18. September 2024 diskutieren Vertreter:innen des VDBD, inwiefern die Krankenhausreform die flächendeckende Diabetesversorgung gefährdet und welche Versorgungsstrukturen dabei helfen können, mehr Gesundheitsgerechtigkeit in der Bevölkerung zu schaffen – insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen und schlechtem Zugang zum Gesundheitssystem.

In einer hausärztlichen Praxis in Deutschland werden im Schnitt etwa 100 Menschen mit Diabetes mellitus betreut. 2 bis 5 der Betroffenen haben einen Diabetes Typ 1. „Das tägliche Diabetesmanagement erfordert besonderes Augenmerk, um bei diesen Patient:innen schwere Begleit- und Folgeerkrankungen zu verhindern und eine hohe Lebensqualität und -erwartung zu gewährleisten“, erklärt Sebastian Bittner, neu gewähltes Vorstandsmitglied des VDBD. Durch die geringe Anzahl der Menschen mit Diabetes Typ 1 in Hausarztpraxen fehlt oft die Expertise auf diesem Gebiet. Wenn Betroffene nicht an Diabetologische Schwerpunktpraxen weitergeleitet werden, bleiben diese Patient:innen oft hinter ihren therapeutischen Möglichkeiten zurück – insbesondere hinsichtlich moderner Diabetestechnologien. Insgesamt sind etwa 340 000 Erwachsene in Deutschland von Diabetes Typ 1 betroffen. „Wenn keine Betreuung in einer Diabetologischen Schwerpunktpraxis erfolgt, sind Kliniken die letzte Instanz, in der Betroffene beispielsweise ihren dauerhaft erhöhten Blutzucker wieder in den Griff bekommen oder eine Schulung für technische Geräte erhalten“, erklärt Bittner, Diabetesberater an der m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn.

Herausforderungen in der Diabetesversorgung nehmen zu

Die Therapie des Diabetes Typ 1 wird immer komplexer. Der Versorgungsaufwand hat für das Fachpersonal durch die technologischen Therapiemöglichkeiten nicht ab- sondern eher zugenommen. So setzen Insulinpumpen, kontinuierliche Glukosemesssysteme und AID-Systeme zur automatisierten Insulinabgabe umfangreiches technisches Verständnis und Wissen bezüglich der Handhabung voraus. „Das Praxispersonal muss über ein großes Spektrum von Geräten informiert sein und sich `up to date´ halten, um diese Informationen ihren Patient:innen weitergeben zu können. Das erfordert nicht nur zeitliche Ressourcen zur Kenntnisgewinnung, sondern auch -vermittlung, die nicht jede Praxis aufbringen kann“, gibt Bittner zu bedenken. „Die Erstkalibrierung eines AID-Systems und die technische Einweisung nimmt mindestens eine Stunde in Anspruch“, führt der Diabetesberater DDG aus. In ländlichen Regionen sind Versorgungslücken aufgrund fehlender Diabetologischer Schwerpunktpraxen und des Fachkräftemangels besonders prägnant.

„Solange keine ausreichende flächendeckende ambulante Versorgung möglich ist, sind Menschen mit Diabetes Typ 1 auf Kliniken angewiesen, wo diese Versorgungsstrukturen existieren. Kommt es im Zuge der Lauterbach’schen Krankenhausreform zu einer zentralisierten Klinikversorgung, wird es für die Betroffenen noch weniger Anlaufstellen geben“, warnt Bittner. Jede:r 5. Krankenhauspatient:in hat die Nebendiagnose Diabetes. Eine adäquate Versorgung dieser stetig wachsenden Anzahl macht eine Diabetesexpertise in der Klinik notwendig. „Für eine gute Behandlungsqualität von Menschen mit Diabetes braucht es qualifizierte Diabetesberater:innen“, so Bittner.

Politik muss Diabetesberatung endlich mitdenken!

Der VDBD fordert daher eindringlich, dass der drohende Teufelskreis aus mangelnder Finanzierung der klinischen Diabetesberatung und zunehmender ambulanter Unterversorgung durchbrochen werden muss. „Die geplante Vorhaltevergütung muss daher auch Gesundheitsfachkräfte einbeziehen, die nicht nur aus dem rein pflegerischen Milieu kommen“, betont Kathrin Boehm, neue Vorstandsvorsitzende des VDBD. „Die Krankenhausreform, beziehungsweise das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, (KHVVG) berücksichtigt jedoch nur ärztliches und pflegerisches Personal.“ Die Diabetesberaterin DDG verweist darauf, dass rund zwei Drittel der Diabetesberater:innen DDG und Diabetesassistent:innen DDG keinen pflegerischen Grundberuf haben und damit aus diesem Raster fallen würden. Sie haben sich jedoch durch die seit Jahrzenten etablierte und professionelle Weiterbildung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in der Betreuung von Diabetespatient:innen qualifiziert und spielen eine zentrale Rolle in der klinischen und ambulanten Versorgung von Menschen mit Diabetes.

Details zu den Forderungen des VDBD sind dem Positionspapier des VDBD „Diabetesberatung – eine übersehene Ressource in der Krankenhausreform“ zu entnehmen. Dies wird auch ein Thema auf der VDBD-Pressekonferenz am 18. September 2024 sein.

Terminhinweis:

Online-Pressekonferenz des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD)

Gesundheit für alle?!
Wie schaffen wir mehr Gesundheitsgerechtigkeit in Deutschland?

Termin: Mittwoch, den 18. September 2024, 11 bis 12 Uhr
Anmeldung: https://attendee.gotowebinar.com/register/6411583695786004058

Themen und Referierende:

Forschen für mehr Gesundheitsgerechtigkeit: Impulse für ein gleichberechtigtes Gesundheitswesen
Professorin Dr. habil. Claudia Luck-Sikorski
Lehrstuhl für Psychische Gesundheit und Psychotherapie, Präsidentin der SRH Hochschule für Gesundheit GmbH in Gera

 Über 8 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland – sind alle gleich gut versorgt? Ein Erfahrungsbericht aus der Diabetesberatung
Kathrin Boehm
Diabetesberaterin DDG und Vorsitzende des VDBD

Kombi-Pack Krankenhausreform und Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Fort- oder Rückschritt für die Versorgung von Menschen mit Diabetes?
Dr. Gottlobe Fabisch
Geschäftsführerin des VDBD

„Health in all policies“: Wie „Präventionsketten“ mehr Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung schaffen
Stefan Bräunling
Leiter der Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit

Moderation: Christina Seddig, Pressestelle VDBD

Über den Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD):

Wir sind der Verband der Diabetesberater/innen DDG, Diabetesassistenten/innen DDG und weiterer qualifizierter Fachkräfte, die sich gezielt für Menschen mit Diabetes mellitus und assoziierten Erkrankungen engagieren. Unsere Mitglieder sind erfahrene Beratungs- und Schulungsprofis, deren Angebote sich an den aktuellen wissenschaftlichen Standards der Diabetologie und Pädagogik orientieren.