Kasseler & Co: Darf’s auch etwas weniger sein?
In Deutschland wird zu viel Fleisch gegessen: Das beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit, sondern schädigt auch Umwelt und Klima. Selbst Kantinenbetreiber sind zunehmend offen für kleinere Fleischportionen – schon aus Kostengründen. Aber wie lässt sich die Kundschaft dazu bringen, kleinere Fleischportionen zu wählen? Diese Frage untersuchten Forschende der Universität Bonn in der Kantine einer Reha-Klinik. Der gewünschte Effekt war dann am größten, wenn das Kantinenteam einfach kleinere Fleischportionen austeilte und erst auf Nachfrage nachlegte. Dieses Vorgehen stieß auch bei den Gästen weitgehend auf Akzeptanz. Die Ergebnisse sind nun im Journal “Einvironment and Behavior” veröffentlicht.
Der Fleischkonsum in Industrienationen ist deutlich zu hoch. Damit steigt nicht nur das Risiko etwa für Herzkreislauferkrankungen. Vermehrte Tierhaltung verschärft auch das Welternährungsproblem, weil durch den Futtermittelanbau wertvolle Fläche für die menschliche Ernährung verloren geht. Tierzucht heizt auch den Klimawandel weiter an: Wiederkäuer erzeugen das Treibhausgas Methan, außerdem benötigt die Produktion tierischer Lebensmittel viel mehr Energie als die pflanzlicher. Und: “Fleisch ist teurer als die meisten Beilagen”, sagt Juniorprofessor Dr. Dominic Lemken vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik (ILR) der Universität Bonn. “Schon aus Kostengründen wollen Kantinen die Fleischportionen auf den Tellern reduzieren.”
Was passiert mit an Fleisch gewöhnter Kundschaft?
Die Frage ist, welche Anreize eine weitgehend an tierische Produkte gewöhnte Kundschaft benötigt, um weniger Fleisch und mehr Beilagen auf den Tellern zu akzeptieren. Das untersuchte ein Team um Dominic Lemken zusammen mit Gloria Sindermann von der Universität Göttingen in der Kantine einer Reha-Klinik, in der täglich rund 200 Essensportionen ausgegeben werden. Von Oktober 2022 bis Mai 2023 protokollierten die Forschenden unbemerkt und anonymisiert bei insgesamt 5.966 Mahlzeitenwahlen, unter anderem ob Fleisch mit auf dem Teller war und in welcher Portionsgröße. Darüber hinaus wurden 125 Kundinnen und Kunden zu ihrer Zufriedenheit befragt.
Zuvor hatten die Forschenden mit der Kantinenleitung einen Plan abgestimmt. Zunächst blieb in einer sechswöchigen Beobachtungsphase alles beim Alten: Erst auf Nachfrage der Kundschaft passte das Personal die Fleischportionsgröße an. Anschließend veränderte das Kantinenpersonal an der Essensausgabe seine Ansprache in eine aktivere Variante: Wie viel Fleisch möchten Sie haben? Zudem wiesen Infotafeln darauf hin, dass sich durch kleinere Fleischportionen mehr Menschen auf der Erde ernähren lassen. In einer dritten Phase bekam die Kundschaft automatisch weniger Fleisch auf den Teller. Schilder an der Ausgabetheke wiesen darauf hin, dass man auch größere Portionen wählen kann. Erst auf Nachfrage gab es jedoch größere Portionen.
Gezielter Reiz für eine erwünschte Verhaltensänderung
Bei letzterer Strategie handelt es sich um die “Default Nudging”-Variante: Dabei geht es um einen gezielten Anreiz (“Nudge”), der eine Verhaltensänderung herbeiführen soll. Nudges sind etwa von den “Schockbildern” auf Zigarettenschachteln bekannt, die Raucher abschrecken sollen. “Bei unserer Studie bestand der `Nudge´ dagegen darin, dass kleinere Fleischportionen als Standard ausgegeben wurden und es einen erhöhten Aufwand bedeutete, nach einer größeren Portion zu fragen”, sagt Doktorandin Ana Ines Estevez Magnasco aus dem ILR-Team. Sich mit weniger Fleisch zufrieden zu geben, war also bequemer.
Von Spaghetti Bolognese über Lamm-Curry bis hin zum Hühnerfrikasse: Während der Studie landeten bei insgesamt elf verschiedenen Gerichten im Schnitt ein Drittel weniger Fleisch und entsprechend mehr Beilagen auf den Tellern. Wie Umfragen zeigten, stieß dies weitgehend auf Zustimmung bei den Kundinnen und Kunden. Allerdings unterschieden sich die verschiedenen Strategien der Fleischreduktion erheblich in den Effekten: Zu Beginn der Studie – als alles lief wie gewohnt – fragten knapp zehn Prozent der Kundschaft nach kleineren Fleischportionen. Durch die aktive Nachfrage – “Wie viel Fleisch möchten Sie?” – stieg der Anteil bestellter reduzierter Portionen auf fast 39 Prozent. Durch das Nudging – nur auf Nachfrage mehr Fleisch – kletterte diese Zahl auf über 90 Prozent.
“Nudging” gleicht die Entscheidung von Frauen und Männern an
“Erstaunlich war auch das sehr unterschiedliche Verhalten von Frauen und Männern”, sagt Dr. Aline Simonetti aus Lemkens Team. Vor allem bei der Frage, wie groß die Fleischportion sein soll, entschieden sich fast vier Mal mehr Frauen für die kleinere Portion als Männer. Auch beim Nudging – kleinere Fleischportionen als Standard – zeigte sich dieser Effekt noch, wenn auch deutlich schwächer. “Wir konnten beobachten, dass sich durch das Nudging die Entscheidung von Männern und Frauen für kleinere Fleischportionen annäherten”, fasst Dominic Lemken zusammen. “Dieses Resultat ließe sich auch für die Ernährungspolitik nutzen, wenn es darum geht, insgesamt den Fleischkonsum anzunähern”, so der Forscher weiter, der auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen “Individuals & Societies” sowie “Sustainable Futures” an der Universität Bonn ist.
Wie können Kantinen die Erkenntnisse nutzen? Dominic Lemken empfiehlt zunächst Umfragen, um herauszubekommen, ob kleinere Portionen als Standard auf Akzeptanz stoßen. “Wenn die Kundschaft das nicht möchte, kann das Personal bei der Essensausgabe gezielt nach Fleischportionsgrößen fragen – dann verprellt man niemand”, so der Ökonom. Er sieht jedoch noch größeren Forschungsbedarf, weil sich die Kantinen hinsichtlich ihres Angebots und ihrer Stammkundschaft teils erheblich unterscheiden.
Förderung:
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefödert.
Originalpublikation:
Dominic Lemken, Aline Simonetti, Gloria Sindermann, and Ana Ines Estevez Magnasco: Evidence on the Effectiveness-Acceptance Trade-Off Between Forced Active Choice and Default Nudging: A Field Study to Reduce Meat Consumption in Cafeterias, Environment and Behaviour, DOI: https://doi.org/10.1177/00139165241274496