Darmmikrobiom und Tumorkachexie: Neues europäisches Forschungsnetzwerk

EU-Projekt „MiCCrobioTAckle“ erforscht das Darmmikrobiom bei Krebs und fördert wissenschaftlichen Nachwuchs für die Mikrobiota-Medizin

Das neue, von der EU geförderte internationale Forschungsnetzwerk „MiCCrobioTAckle“ wird die Rolle des Darmmikrobioms bei der Tumorkachexie untersuchen und neue Behandlungsansätze entwickeln. Zwölf Promovierende werden dabei von Forschung und Industrie umfassend zu Expert*innen der Mikrobiota ausgebildet. Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) koordiniert das Konsortium und leitet das Projekt.

Die Tumorkachexie ist ein schwerwiegendes Syndrom vieler Krebspatient*innen, welche nicht nur signifikant an Muskelmasse und Körpergewicht, sondern auch erheblich an Lebensqualität und Lebenserwartung verlieren. Die genauen Mechanismen der Kachexie sind bisher noch weitgehend unbekannt, allerdings scheint das Darmmikrobiom – die Gemeinschaft von Milliarden Mikroorganismen im Verdauungstrakt – eine zentrale Rolle zu spielen, da es Entzündungen auslösen kann, die die Nährstoffaufnahme und den Energiestoffwechsel beeinträchtigen und so den Muskelabbau fördern.

Mit „MiCCrobioTAckle“ (MiCCrobioTackle: Advancing Research at the Intersection Between Gut Microbiota and Cancer Cachexia to Train Europe’s Future Leaders in Microbiota Medicine) sollen diese komplexen Wechselwirkungen von Darmmikrobiom und dem menschlichen Körper untersucht werden, um Möglichkeiten zu finden, den Muskelabbau zu verlangsamen.

Ein internationales Netzwerk für den Nachwuchs in der Mikrobiota-Medizin

Ausgestattet mit einem Budget von über drei Millionen Euro, vereint das vierjährige Projekt 24 wissenschaftliche und industrielle Partner aus zwölf Ländern, die die Mikrobiota-Medizin nun vorantreiben wollen. Zwölf Promovierende werden europaweit zusammenarbeiten, um neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Darmmikrobiom und Tumorkachexie zu gewinnen und um zu künftigen Führungskräften in Wissenschaft und Industrie ausgebildet zu werden. Akademische Partner aus Deutschland, Dänemark, Irland, Ungarn und den Niederlanden sowie das Amsterdamer Biotech-Unternehmen Caelus Pharmaceuticals unterstützen das Forschungsnetzwerk. Die Hoffnung ist, die Erkenntnisse aus der tumorassoziierten Kachexie in der Zukunft auch auf andere metabolische Erkrankungen wie Diabetes oder Adipositas übertragen zu können.

„‚MiCCrobioTAckle‘ ist ein wichtiger Schritt vorwärts in der Mikrobiota-Medizin,“ sagt Prof. Dr. Gianni Panagiotou, der das Forschungskonsortium koordiniert. Er hat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Exzellenzprofessur Microbiome Dynamics inne und leitet am Leibniz-HKI die gleichnamige Abteilung. „Unser Projekt vereint unterschiedliche Expertisen aus Europa, UK und den USA mit der Mission, Stoffwechselkrankheiten ausgehend von der Krebskachexie gründlich zu erforschen und zu therapieren. Am Leibniz-HKI werden wir deshalb drei Promovierende zu Expert*innen für das menschliche Darmmikrobiom ausbilden. Sie sollen später in der Lage sein, auch über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und immer das Gesamtbild im Blick zu behalten. Nur so können in der Wissenschaft frische Ideen entstehen.“

Das Team von Gianni Panagiotou wird die Tumorkachexie vor allem mit bioinformatischen Methoden untersuchen. In einer Arbeit sollen biologische Daten von Betroffenen analysiert werden, um maschinelle Lernalgorithmen zur Vorhersage des Syndroms zu entwickeln. In der zweiten Arbeit werden zusammen mit dänischen Partnern computergestützte Stoffwechselmodelle entwickelt, um mikrobielle Gemeinschaften im Darm für Therapien gegen Kachexie zu gestalten. In einem dritten Projekt wird in Zusammenarbeit mit ungarischen Partnern eine klinische Studie an Lungenkrebspatienten durchgeführt, um Biomarker zu finden, mit denen sich das Risiko einer Kachexie einschätzen lässt. Institute aus den USA und dem Vereinigten Königreich unterstützen die Ausbildung der Promovierenden dabei durch Workshops und Schulungen.

Mit dem Programm bereichert Gianni Panagiotou den Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ der Uni Jena um eine stark anwendungsorientierte, medizinische Facette. Der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Exzellenzcluster untersucht das komplexe Gleichgewicht mikrobieller Gemeinschaften und ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt.

„MiCCrobioTAckle“ wird im Rahmen der „Marie Skłodowska-Curie Actions“ (MSCA) gefördert. Die MSCA gelten als das Flaggschiff-Förderprogramm der Europäischen Union für die Ausbildung von Promovierenden und Postdocs und sind Teil des Forschungs- und Innovationsförderprogramms Horizont Europa der EU. Durch die Entwicklung neuer mikrobiombasierter Werkzeuge bietet das Projekt eine vielversprechende Perspektive für die Verbesserung des klinischen Managements und der Lebensqualität von Krebspatient*innen sowie erstklassige Trainingsprogramme für angehende Wissenschaftler*innen.

Das Leibniz-HKI

Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler*innen des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.

Das Leibniz-HKI verfügt über sieben wissenschaftliche Abteilungen und drei Forschungsgruppen, deren Leiter*innen überwiegend berufene Professor*innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der Universität Jena betreibt das Leibniz-HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.

Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics und des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.

Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen knapp 21.000 Personen, darunter fast 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei zwei Milliarden Euro.