Bessere Ergebnisse dank weniger Stress
Ein alternativer Ansatz zur Erforschung von Neuroinfektionen
Das zentrale Nervensystem, insbesondere das Gehirn, ist ein besonders geschützter Bereich des Körpers. Es enthält spezielle Immunzellen, so genannte Mikroglia, die Gefahrensignale überwachen und darauf reagieren. Ein Forscherteam des Instituts für Experimentelle Infektionsforschung am TWINCORE in Hannover konnte nun zeigen, dass bisherige Ansätze zur Erforschung der Mikroglia deren Aktivierungszustand verändern können. In einer aktuellen Veröffentlichung im Journal of Neuroinflammation schlagen sie eine alternative Methode vor.
Die Forschenden untersuchen die Funktionen der Mikroglia mit Hilfe der Transkriptomik. Diese Methode liefert dynamische Informationen darüber, welche Gene in der Zelle gerade aktiv sind, sowohl im gesunden als auch im kranken Zustand. Dazu isolieren sie einzelne Zellen aus dem Gewebe und reichern bestimmte Zelltypen anschließend mit Fluoreszenz-aktivierter Zellsortierung (FACS) an.
Die FACS-Methode ist allerdings nicht unproblematisch: „Wir konnten zeigen, dass die sortierten Mikrogliazellen ex vivo Aktivierungssignaturen aufweisen“, sagt Dr. Felix Mulenge, Postdoc am Institut für Experimentelle Infektionsforschung des TWINCORE und Erstautor der Studie. „Das liegt daran, dass die Zellen während der Sortierung hydrodynamischem Stress oder traumatischen Verletzungen ausgesetzt sind, die das Transkriptom der Mikroglia verändern. Wir sehen die Zellen also nie in einem wirklich ruhigen Zustand.“
Eine lange gestellte Frage war, ob solche „falschen“ Signaturen nur bei Mikrogliazellen oder auch bei peripheren Immunzellen auftreten. Die Forscher entdeckten künstliche Signaturen in öffentlich zugänglichen Daten von Zellen des zentralen Nervensystems und anderer Zelltypen. Sie begannen sich zu fragen, ob diese Studien den in vivo-Status der analysierten Zellen vollständig widerspiegeln. „In dieser Ära von Big Data stellen solche ex vivo-Transkriptionsveränderungen für viele Studien eine große technische Herausforderung dar“, sagt Mulenge.
Um dies zu vermeiden, hat Mulenge eine alternative Methode implementiert, das Ribosomal Tagging, kurz RiboTag. Anstatt die Zellen zu sortieren, um die RNA-Moleküle zu untersuchen, werden bei RiboTag die Ribosomen von Mikroglia mit einer speziellen Methode markiert. Anschließend ermöglicht die Anreicherung der markierten Ribosomen die Bestimmung des Translationsprofils. „Diese Strategie erfordert weniger Schritte und schließt eine unspezifische Aktivierung der Mikroglia aus“, sagt Mulenge. Daher spiegeln die hier identifizierten homogenen Gengruppen die Mikroglia-Profile in situ genau wider.
„Dass die Messung selbst das Ergebnis einer Untersuchung beeinflussen kann, ist ein bekanntes Phänomen aus der Quantenphysik“, sagt Prof. Ulrich Kalinke, Direktor des Instituts für Experimentelle Infektionsforschung und Geschäftsführender Direktor des TWINCORE. “Mit unserer Methode haben wir die Ursachen für Artefakte in den Transkriptom-Profilen der Mikroglia eliminiert und echte Mikroglia-Signaturen erstellt.“
Die Forscher hoffen, dass ihre Entdeckung in Zukunft weiter genutzt wird, um Infektionen im Gehirn besser zu verstehen. Und nicht nur das: „Die Methode ist im Prinzip nicht auf das Gehirn beschränkt, sondern funktioniert auch bei anderen peripheren Zellen“, sagt Mulenge. Aussagekräftigere Zellsignaturen könnten also die Neurowissenschaften insgesamt verbessern.
Originalpublikation:
Mulenge, F., Gern, O.L., Busker, L.M. et al.
Transcriptomic analysis unveils bona fide molecular signatures of microglia under conditions of homeostasis and viral encephalitis.
J Neuroinflammation 21, 203 (2024).
https://doi.org/10.1186/s12974-024-03197-2