Auf dem Weg zur lichtgesteuerten Medizin

Forschenden des Paul Scherrer Instituts PSI ist es gelungen, die Struktur bestimmter Fotorezeptoren aufzuklären. Mit ihrer Hilfe könnte man zelluläre Aktivitäten per Licht an- und ausschalten, womit sie zu einem wichtigen Instrument in der biologischen Forschung und medizinischen Anwendung würden.

Schon lange träumen Forschende in Biologie und Medizin davon, die Aktivitäten von Zellen zu steuern, ohne dass sie beispielsweise Chemikalien einsetzen müssen. Schliesslich kommt es bei einem so komplexen Gebilde wie einem ganzen Organismus häufig auch zu unerwünschten Nebenwirkungen. Ideal wäre daher eine Art Fernsteuerung für Zellen, mit der man die Funktionen einzelner Organe besser untersuchen und verstehen und die man sogar zu therapeutischen Zwecken einsetzen könnte. Eine Fernsteuerung per Licht wäre dafür optimal, da sie es ermöglicht, sehr spezifisch und nicht-invasiv auch tief liegende Organe und Gewebe zu beeinflussen. Allerdings benötigt ein solches Verfahren auch einen zellulären Lichtempfänger in den entsprechenden Organen. Dafür eignen sich beispielsweise jene Lichtrezeptoren, die etwa in der Netzhaut unserer Augen Lichtimpulse aufnehmen – «Rhodopsine» genannt. Mit manchen dieser Fotorezeptoren könnten sich bestimmte Zellfunktionen per Lichtimpuls an- und ausschalten lassen. Das würde schneller und gezielter wirken als Medikamente, die ihren Effekt verzögert entfalten und häufig ungewollte Nebeneffekte zeigen, da man sie nicht ohne Weiteres nur in einem bestimmten Organ aktivieren kann.

In den Neurowissenschaften funktioniert etwas Ähnliches bereits und wird zurzeit im Tiermodell zur Erforschung von Erkrankungen des Gehirns wie Parkinson und Epilepsie erprobt: In die Neuronen werden per Gentechnik lichtgesteuerte Ionenkanäle von Einzellern eingebaut. Im Tiermodell öffnen sich diese Ionenkanäle in der Zellmembran zum Beispiel bei blauem Lichteinfall und lassen so etwa positiv geladene Ionen in das Neuron strömen. In einer Kettenreaktion öffnen sich weitere Kanäle; so entsteht ein elektrisches Signal – das Neuron wird aktiv.

Eine neue Art der Optogenetik

Allerdings funktionieren solche lichtgesteuerten Ionenkanäle nur bei Nervenzellen. Ziel der Forschung ist es jedoch, auch weitere Zellen und Organe im Organismus zu stimulieren, um vielerlei Körperfunktionen zu steuern. So könnte man etwa den natürlichen Schrittmacher des Herzens erforschen oder die Mechanismen von chronischen Schmerzen, Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Leiden. Man könnte womöglich effektive Zelltherapien für hormonelle Fehlfunktionen, Immun-, Herz- und andere Erkrankungen bis hin zu Krebs entwickeln.

Forschende um Gebhard Schertler vom PSI Center for Life Sciences arbeiten daher an einer neuen Art der Optogenetik. Bei dieser werden Lichtrezeptoren aktiv, die den Rhodopsinen unserer Netzhaut ähneln: Ausgelöst durch den Lichtimpuls koppeln sie sich an Proteine der Zelle und stossen so gewisse zelluläre Signalprozesse an, wie sie in allen Organen stattfinden. Dazu haben sich die PSI-Forschenden mit führenden Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und England zusammengetan und gemeinsam einen der begehrten ERC-Grants eingeworben: Fördermittel des Europäischen Forschungsrates von fast acht Millionen Euro. Ihr Projekt «Switchable rhodOpsins in Life Sciences» (SOL) hat drei Ziele: 1. Rhodopsine finden, die das leisten können, und ihre Struktur aufklären, um die Funktionsweise besser zu verstehen. 2. Solche Rhodopsine mit molekularbiologischen Methoden modifizieren, um sie für Schaltvorgänge verschiedener Körperfunktionen zu optimieren. 3. Die Schalter nutzen, um die Signal-Mechanismen der Proteine besser zu verstehen, sie dann als Werkzeug in der Forschung einsetzen und darauf aufbauend Gentherapeutika entwickeln.

Die Strukturaufklärung von Proteinen ist dank seiner hochauflösenden Grossforschungsanlagen eine Kernkompetenz des PSI. Und so sind PSI-Forschende nun beim ersten Ziel von SOL zwei wesentliche Schritte vorangekommen, wie sie in zwei neuen Studien vermelden: Zum einen ist es gelungen, ein passendes Rhodopsin zu finden und so zu modifizieren, dass es auch im aktiven Zustand stabil bleibt, um sich untersuchen zu lassen. Und zum zweiten konnte die Struktur dieses aktiven Zustands mithilfe eines Kryo-Elektronenmikroskops an der ETH Zürich aufgeklärt werden.

Ein Schalter, der sich beugt und streckt

Rhodopsine sind Proteine und zählen zu den wichtigsten Fotorezeptoren in der Tierwelt. In ihrer Mitte verfügen sie über ein längliches Molekül, das «Retinal», das vom Vitamin A abstammt. Trifft ein Lichtimpuls auf dieses Molekül, so absorbiert es dessen Energie und verändert binnen einer billiardstel Sekunde seine Form. Aus einem gekrümmten Molekül – «11-cis-Form» genannt – wird ein gestrecktes – «All-trans-Form» genannt. Durch die Verwandlung verändert das Retinal auch die Struktur des gesamten Rhodopsins, sodass es nun an andere Proteine in der Zellmembran, sogenannte G-Proteine, binden kann. Damit gehören diese lichtempfindlichen Rhodopsine auch zur GPCR-Familie (G-Protein-gekoppelte Rezeptoren), denn Rhodopsin-G-Protein-Komplexe regen andere Proteine zu Reaktionen an und lösen eine ganze Folge von biochemischen Prozessen aus, die dann zum Beispiel ein Sehsignal ans Gehirn melden.

Der menschliche Körper besitzt Hunderte verschiedene Arten GPCRs, die in den Zellmembranen sitzen, Signale von Aussen empfangen und ins Innere der Zelle weiterleiten. So steuern sie vielerlei Körperfunktionen. Rund 40 Prozent aller Medikamente zielen deshalb auf GPCRs mit Wirkstoffen, die an deren Rezeptoren andocken.

Der Vorteil einfacher Fotorezeptoren

Auch in der Netzhaut menschlicher Augen sitzen Rhodopsine. Sie sind unter anderem in deren Stäbchenzellen für die Unterscheidung von Hell und Dunkel bei Nacht verantwortlich. Allerdings sind diese Rhodopsine wie die der meisten Wirbeltiere «monostabil». Das bedeutet: Hat sich das Retinal einmal durch Licht verändert, so verlässt es das Protein und muss wieder regeneriert werden. Erst dann steht es wieder für den nächsten Schaltvorgang zur Verfügung. Das ist zu umständlich, um dieses Molekül effektiv als optogenetischen Schalter einsetzen zu können, da man zudem Enzyme zur Regeneration einsetzen müsste.

Viele wirbellose Tiere dagegen wie etwa Tintenfische, Insekten und Spinnen haben bistabile Rhodopsine. «Evolutionär gesehen sind diese eigentlich eine ursprünglichere Form von Rhodopsinen und weniger sensibel», sagt Gebhard Schertler. Für die Optogenetik aber haben sie den Vorteil, dass das Retinal nach dem Einschalten im Protein verbleibt und mit einem zweiten Lichtimpuls sofort wieder seine Ursprungsform annehmen und den Zellvorgang wieder ausschalten kann.

Das Rhodopsin einer Springspinnenart beispielsweise erwies sich anders als andere bistabile Rhodopsine zudem als robust und leicht herstellbar. So qualifizierte es sich als möglicher optogenetischer Schalter.

Mit der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI liess sich die molekulare Struktur des Spinnen-Rhodopsins im inaktiven Grundzustand ermitteln. Doch um es als optogenetischen Schalter einzusetzen, musste man auch die Struktur in seiner aktiven Form genau kennen. Dieser Zustand jedoch, wenn das Retinal gestreckt ist und das Rhodopsin an das G-Protein bindet, ist von äusserst kurzer Dauer.

Wie man Proteine glücklich macht

In einer Studie, die kürzlich im Magazin PNAS erschien, berichtet Erstautor Matthew Rodrigues nun, wie es gelang, den aktiven Zustand zu stabilisieren, um ihn strukturell aufklären zu können: durch eine winzige Abwandlung des Retinals. «Die Eigenschaften des Retinals bleiben gleich, doch die Modifikation – ein kleiner zusätzlicher Molekülring – sorgt dafür, dass es offenbar besser in die Bindungstasche des Proteins passt», berichtet Rodrigues. «Es verweilt dort stundenlang, wir Strukturbiologen sagen ‚Es ist happy‘». Nun war die Voraussetzung gegeben, die Struktur des aktiven Rhodopsins in Verbindung mit einem G-Protein zu untersuchen.

Ein gemischtes Protein

In der zweiten Studie, die nun in Nature Communications erscheint, haben Erstautor Oliver Tejero und Letztautorin Ching-Ju Tsai genau dies getan. «Allerdings war dabei erwartungsgemäss festzustellen, dass ein Spinnen-Protein (das Rhodopsin) natürlich nie optimal mit einem menschlichen Protein (dem G-Protein) zusammenpasst», sagt Tsai. «Darum haben wir G-Proteine der Spinne mit denen von uns Menschen verglichen und eine Chimäre aus beiden Formen zusammengesetzt.» Den Endteil der Gensequenz des menschlichen Proteins, der die Andockstelle beinhaltet, haben die Forschenden durch den der Spinne ersetzt.

Mit zusätzlichen gentechnischen Modifikationen im eigentlichen Lichtrezeptor wurde zudem ein weiteres Problem gelöst: Die Spinnen-Rhodopsine werden durch Licht der gleichen Wellenlänge sowohl aktiviert als auch deaktiviert. «Das führt dazu, dass man in einer Zellprobe mit einem Lichtimpuls ein heilloses Durcheinander an aktivierten und deaktivierten Zuständen produziert», sagt Tsai. Für einen Schalter, der gezielt an- oder ausschalten soll, ist das natürlich schlecht. «Mit unseren Modifikationen haben wir dafür gesorgt, dass An- und Abschalten nun bei unterschiedlicher Lichtfarbe ablaufen.»

Dieses gentechnische «Color-Tuning» steht allerdings erst am Anfang. Der nächste Schritt in der grundlegenden Erforschung dieser neuen optogenetischen Schalter wird nun sein, herauszufinden, wie die beteiligten Proteine gestaltet werden müssen, um sie auch mit anderen Lichtfarben steuern zu können. Damit liessen sich dann unterschiedliche Zellfunktionen gezielt an- oder abschalten. Ausserdem geht es darum, die Schalter nicht nur für blaues, oranges und grünes Licht sensibel zu konstruieren, sondern etwa auch für Infrarotlicht. «Denn die grosse Frage bleibt noch, wie das Licht zu dem Rhodopsin gelangt, wenn Optogenetik tatsächlich einmal im medizinischen Alltag eingesetzt werden soll», sagt Matthew Rodrigues. «Man könnte die Lichtquelle in den Körper implantieren. Die viel elegantere und schonendere Methode wäre aber, wenn man mit Infrarotlicht arbeitet. Dieses kann Körpergewebe durchdringen.»

Der grösste Teil des Protein-Engineerings, so bestätigt Projektleiter Gebhard Schertler, stehe noch bevor, jetzt da die strukturellen Grundlagen bekannt sind. Am Ende sei es das Ziel, einen ganzen Baukasten an lichtaktivierbaren GPCRs zusammenzustellen, der für verschiedene Zwecke im Organismus einsetzbar ist.

Text: Jan Berndorff

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Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

Originalpublikation:

Active state structures of a bistable visual opsin to G proteins. Oliver Tejero, Gebhard Schertler, Matthew Rodrigues, Ching-Ju Tsai. Nature Communications, 16.10.2024. DOI: 10.1038/s41467-024-53208-2

Activating an invertebrate bistable opsin with the all-trans 6.11 retinal analog. Matthew Rodrigues, Gebhard Schertler. PNAS, 23.07.2024. DOI: 10.1073/pnas.2406814121

Weitere Informationen:

https://i.psi.ch/5qS – Medienmitteilung auf der Webseite des Paul Scherrer Instituts PSI