Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin schlägt Alarm: Versorgung Schwerstkranker und Sterbender künftig ohne hinreichende Qualifikation?
Die Bundesärztekammer (BÄK) beabsichtigt, Anforderungen an die Weiterbildung in der Palliativmedizin für Erwachsene, Jugendliche und Kinder deutlich herabzusetzen. Deutschland würde damit zum Schlusslicht in Europa.
„Die Palliativ- und Hospizversorgung von Schwerstkranken und Sterbenden hat in Deutschland in den letzten Jahren einen hohen Standard erreicht. In Zukunft wird jedoch die von der Bundesärztekammer geplante Absenkung der Weiterbildungsstandards für Ärzt:innen die erreichte Versorgungsqualität wie auch die Patient:innensicherheit gefährden.“ befürchtet Prof. Dr. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).
Schon jetzt sei die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin so leicht zu erwerben wie keine andere ärztliche Zusatzweiterbildung. Bereits im Jahr 2018 wurde die Weiterbildungszeit für die Palliativmedizin von 12 auf 6 Monate reduziert. Je nach Bundesland und Landesärztekammer kann die Zusatzbezeichnung aktuell auch allein durch den Besuch von Kursen und eine abschließende Prüfung erworben werden. Nach derzeitigen Plänen der Bundesärztekammer soll deutschlandweit zukünftig jedoch allein die Teilnahme an 160 Kursstunden genügen und es wäre keine Prüfung durch eine der Landesärztekammern mehr erforderlich.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ist entsetzt über dieses Vorhaben und die damit verbundene Minderung der Qualitätsansprüche.
Im Vorfeld der geplanten Reform hatte die DGP gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ein schlüssiges und zukunftsorientiertes zweistufiges Konzept für eine qualitativ hochwertige ärztliche Weiterbildung vorgelegt. Hierbei sollte es für niedergelassene Ärzt:innen neben dem Praxisalltag leichter werden, sich in dem Fachgebiet Palliativmedizin weiterzubilden. Denn in der Breite sind insbesondere die niedergelassenen Ärzt:innen unverzichtbar für die allgemeine und spezialisierte Palliativversorgung zuhause.
Gleichzeitig sieht aber das Konzept von DGP und DEGAM eine Zusatzbezeichnung in der speziellen Palliativmedizin vor, um vor dem Hintergrund immer komplexerer Krankheitsbilder, einer weiterhin älter werdenden Bevölkerung sowie weiter zunehmender medizinethischer und rechtlicher Fragen eine qualitativ hochwertige Patient:innenversorgung sicherzustellen. Ebenso wurden die besonderen Belange von palliativ behandelten Kindern und Jugendlichen in dem gemeinsamen Konzept von DGP und DEGAM berücksichtigt.
„Wenn sich die Pläne der Weiterbildungskommission der Bundesärztekammer durchsetzen, wird es zukünftig dem Zufall überlassen sein, über welche Qualifikationen Palliativmedizinerinnen und Palliativmediziner verfügen. Hierdurch sehen wir die Qualität der Versorgung und die Sicherheit schwerstkranker Menschen erheblich gefährdet.“ erklärt Prof. Dr. Roman Rolke, Sprecher der Sektion Ärztinnen und Ärzte der DGP und Sprecher der Lehrstuhlinaber:innen für Palliativmedizin. Während an vielen Stellen von Exzellenzmedizin gesprochen wird, scheint sich die Versorgung Schwerstkranker und Sterbender von einer solchen Haltung deutlich zu entfernen.
Künftig Schlusslicht in Europa in puncto ärztliche Qualifikation in der Palliativmedizin?
„Mit den aktuellen Planungen verabschiedet sich die Bundesärztekammer auch von einer wesentlichen Forderung der Charta zur Betreuung schwerstkranker Menschen, die bisher von der BÄK mitgetragen wurde.“ betont der Geschäftsführer der DGP, Heiner Melching. In der Charta, die gemeinsam von der BÄK, dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband (DHPV) und der DGP initiiert wurde, wird explizit eine Weiterentwicklung und weitere Spezialisierung in der Weiterbildung gefordert. Nun stehen die Weichen auf Rückentwicklung: Deutschland würde in puncto ärztliche Qualifikation in der Palliativversorgung mit großem Abstand das Schlusslicht in Europa bilden und weltweit einen der letzten Plätze belegen.
Dabei erfordert sowohl die demographische Entwicklung wie auch eine zunehmende Multimorbidität im Alter mit herausfordernden Krankheitsbildern und Therapien deutlich mehr Fertigkeiten und Wissen auf Seiten der Ärzt:innen. Nicht zuletzt der Aufbau von qualitativ hochwertigen multiprofessionellen Strukturen in Krankenhäusern mit effektiven Schnittstellen zu anderen Bereichen, wie z.B. der Intensiv- und Notfallmedizin, erfordert deutlich mehr Kompetenz, als in einem vierwöchigen Kurs jemals vermittelt werden kann.
Für junge Ärzt:innen bietet Weiterbildung Palliativmedizin keine berufliche Perspektive
Die Arbeitsgemeinschaft „Junge DGP“ fordert sogar noch weitaus mehr, als es der vorgelegte Kompromissvorschlag von DGP und DEGAM vorsieht. Dr. Alexandra Scherg von der AG Junge DGP beschreibt die Situation so: „Es ist äußerst frustrierend und demotivierend, dass junge Mediziner:innen, die im Studium das Fach Palliativmedizin für sich entdeckt haben, keinerlei Möglichkeit haben, sich unter qualifizierter Praxisanleitung ausreichend weiterzubilden. Nun muss man 6 Jahre lang eine Facharztweiterbildung in einem patientennahen Fach absolvieren, um dann in einem rein theoretischen 160 Stunden-Kurs das zu lernen, was man zukünftig beruflich machen möchte. Wie es bereits in anderen Ländern etabliert ist, bräuchten auch wir in Deutschland eine Facharztweiterbildung Palliativmedizin“.
Bereits jetzt ist das Niveau der Qualifikation von Palliativmediziner:innen in Deutschland heterogen. Viele Ärztinnen und Ärzte absolvieren ihre Weiterbildung in einem reinen Kurssystem, das leider nicht selten online angeboten wird und in denen mitunter mehr als 80 Teilnehmende vor dem Bildschirm sitzen. Bis zu 100 der geforderten 160 Stunden können auch nach dem jetzigen Musterkursbuch der BÄK online und ohne jede Beschränkung der Teilnehmerzahl absolviert werden. In Bayern wird nicht einmal eine Facharztqualifikation gefordert, um die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin zu erwerben. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu absurd, die Anforderungen an die palliativmedizinische Weiterbildung noch weiter herunterzuschrauben.
DGP fordert Bundesärztekammer dringend zu Gesprächen auf
Die DGP fordert die BÄK auf, die notwendige fachliche Expertise durch die DGP als zuständige wissenschaftliche Fachgesellschaft in den Planungsprozess zur weiteren Gestaltung der Weiterbildung Palliativmedizin eng mit einzubinden. Leider ist der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt einer Gesprächsbitte der DGP – mit Hinweis auf den laufenden Beratungsprozess innerhalb der BÄK – bisher nicht nachgekommen.
Es wirkt zynisch, dass in Zeiten, in denen Suizidprävention für Menschen mit Sterbewünschen durch gesetzliche Regelungen gestärkt werden soll, durch diese Maßnahme der BÄK eine tragende Säule der Suizidprävention am Lebensende – die kompetente und qualifizierte Palliativversorgung – systematisch und vorhersehbar geschwächt werden wird.
Wie soll die ärztliche Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden zukünftig erfolgen?
Mit hoher fachlicher Kompetenz, die auch praxisnah erlernt wurde und in einer Prüfung nachgewiesen worden ist, oder als persönliches Interesse, dem nebenbei in einem Kurs ohne weitere Qualitätsanforderungen nachgegangen wird?
Die in der DGP organisierten Palliativmedizinerinnen und Palliativmediziner fordern, zum Wohle der betroffenen Patientinnen und Patienten die Voraussetzungen für eine zukünftige Weiterbildung in der Palliativmedizin an die Bedarfe der Betroffenen anzupassen. „Schwerkranke Menschen und ihre Familien müssen sich in ihrer besonders geschwächten Situation am Lebensende darauf verlassen können, hinsichtlich ihrer spezifischen Symptome und Belastungen jederzeit sicher beraten und versorgt zu werden. Alles andere wäre nicht seriös.“ so die DGP-Präsidentin.
Über die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
Die 1994 gegründete Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin steht für die interdisziplinäre und multiprofessionelle Vernetzung aller in der Palliativmedizin Tätigen und verzeichnet rund 6.500 Mitglieder aus der Medizin, der Pflege und weiteren in der Palliativversorgung tätigen Berufsgruppen. Anliegen der wissenschaftlichen Fachgesellschaft ist es, die Fortentwicklung der Palliativmedizin interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend auf allen Ebenen zu fördern.