Modellsystem für die Entwicklung von Wirkstoffkandidaten für kondensatverändernde Therapeutika geschaffen

Forschende der JGU und der Universität Leiden entwickelten ein Modellsystem, in dem sich Fibrillen – die Ursache zahlreicher Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson – erstmalig wieder in ihre Einzelteile oder deren Flüssigkeitströpfchen zerlegen lassen

Alzheimer, Parkinson – die Ursache zahlreicher Krankheiten liegt im molekularen Bereich unseres Körpers, genauer gesagt in den Proteinen. Im gesunden Körper sind sie für zahlreiche Funktionen verantwortlich. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, lagern sie sich mitunter zu Gruppen aus fünf oder zehn Proteinen zusammen, nach getaner Arbeit gehen sie wieder ihrer eigenen Wege. Kommt es jedoch zu größeren Zusammenrottungen von hundert oder mehr Proteinen zu sogenannten Fibrillen – Bündeln langer, fadenförmiger Protein-Filamente – sind die auftretenden Kräfte so stark, dass die Proteine sich nicht mehr voneinander trennen lassen. Die Folge dieser „Verklumpung“ sind Krankheiten verschiedenster Art. Lagern sich die Fibrillen beispielsweise im Gehirn ab, vergrößern sie den dort auftretenden Druck und rufen neurodegenerative Erkrankungen hervor.

Aufbrechen von Fibrillen erstmalig gelungen

Die Bildung der Fibrillen ist meistens irreversibel, also nicht umkehrbar: Nicht nur im Körper, sondern bislang auch in Modellsystemen. Prof. Dr. Shikha Dhiman von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Prof. Dr. Lu Su von der Universität Leiden haben nun gemeinsam mit ihren Doktoranden, Mohit Kumar in Mainz und Heleen Duijs in Leiden, ein Modellsystem entwickelt, mit dem es erstmals gelingt, diese Fibrillen in einzelne Einheiten oder ihre Flüssigkeitströpfchen aufzuspalten. „Es ist das erste Modellsystem, mit dem eine solche Umkehr ohne eine chemische Reaktion gelungen ist“, freut sich Dhiman. In den Fibrillen interagieren die einzelnen Einheiten über nicht-kovalente Bindungen wie Wasserstoffbrückenbindungen miteinander. Für sich allein sind diese nicht sehr stark, es ist die Masse an Bindungen sowie die Ordnung, die zur hohen Stabilität der Fibrillen führt. Die Forschenden haben daher einen Trick angewendet: Sie geben Substanzen hinzu, die sich in eine Art „Taschen“ in den Fibrillen einlagern und die Struktur unstabil werden lassen. „Wir bringen also konkurrierende Bindungspartner ein. Diese binden an die einzelnen Einheiten – die Interaktion zwischen den Einheiten wird somit unnötig, die Fibrille bricht auf“, erklärt Dhiman.

Modellsystem ermöglicht systematische Untersuchung

Eine weitere Besonderheit des Modellsystems: Es ermöglicht, alle änderbaren Parameter systematisch zu untersuchen. Um dies zu verstehen, ist ein kurzer Ausflug nötig. Bis vor kurzer Zeit gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass es Einzelproteine sind, die sich zu den Fibrillen zusammenfinden. Kürzlich konnte dies jedoch widerlegt werden: Mehrere Proteine lagern sich zunächst mit Wasser und Salzen in flüssigen Tropfen zusammen, wobei sich die Proteine an der Oberfläche des Tropfens anordnen – ein sehr wichtiger Zwischenzustand bei der Bildung der Fibrillen. Im Gegensatz zu den Fibrillen übernehmen diese Tropfen eine Funktion im Körper und können sich wieder in die Proteine auftrennen. „In unserem Modellsystem können wir alle drei Zustände abbilden, also Einheiten, flüssige Tropfen und Fibrillen“, bestätigt Shikha Dhiman, Professorin am Department Chemie der JGU und leitende Wissenschaftlerin des Forschungsverbunds CoM2Life (Communicating Biomaterials: Convergence Center for Life-Like Soft Materials and Biological Systems), mit dem sich die JGU in der Exzellenzstrategie um Förderung als Exzellenzcluster bewirbt.

Basis für die Entwicklung neuer Therapien

Auf lange Sicht kann das Modellsystem dabei helfen, Medikamente gegen verschiedene Krankheiten zu entwickeln, unter anderem gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Denn anders als in komplexen Systemen wie Zellen lassen sich hier alle Parameter gut untersuchen. Was führt dazu, dass sich Protein-Tropfen zu Fibrillen zusammenlagern? Wie lässt sich dies kontrollieren? Und wie die Fibrillen optimal aufbrechen? Sind solche grundlegenden Fragen geklärt, kann der nächste Schritt folgen: Die Untersuchung in Zellen. Die Basis für ein großflächiges Wirkstoff-Screening ist also gelegt. „Die potenziellen therapeutischen Anwendungen sind enorm“, sagt Lu Su, Assistent Professor am Leiden Academic Center for Drug Research. „In Zukunft stellen wir uns Medikamente vor, die auf diesem Modell basieren und pathologische Fibrillen gezielt auflösen könnten, um Krankheitssymptome zu lindern und letztlich die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern.“

Weiterführende Links:

https://www.chemie.uni-mainz.de/ – Department Chemie an der JGU
https://www.universiteitleiden.nl/en/staffmembers/lu-su#tab-1 – Prof. Dr. Lu Su, Assistent Professor in der Abteilung BioTherapeutics am Leiden Academic Center for Drug Research

Originalpublikation:

Heleen Duijs et al.
Harnessing Competitive Interactions to Regulate Supramolecular “Micelle-Droplet-Fiber” Transition and Reversibility in Water
Journal of the American Chemical Society, 15. Oktober 2024
DOI: 10.1021/jacs.4c11285
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/jacs.4c11285