Die Rolle des Immunsystems im Zusammenhang zwischen chronischer Nierenerkrankung und Herzkrankheiten
Patientinnen und Patienten, deren Nieren nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr funktionieren, haben ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie zum Beispiel Schlaganfall oder Herzinfarkt. Eine Forschungsgruppe um PD Dr. Dalia Alansary von der Universität des Saarlandes hat nun eine weitere Ursache für diesen Zusammenhang gefunden. Dabei spielt ein spezieller Ionenkanal namens P2X7 eine wichtige Rolle. Die Arbeit wurde im Fachmagazin „Kidney International“ veröffentlicht.
Wenn zum Beispiel beim Autokauf der Gebrauchtwagen auf Herz und Nieren geprüft wird und man keine großen Mängel findet, funktioniert er üblicherweise problemlos. Motor, Getriebe und Elektronik verrichten ihre Dienste noch lange und zuverlässig, wenn man darauf aufpasst. Doch wenn es beispielsweise in der Elektronik hakt, kann das auch schwerwiegende Folgen für den Motor haben. Die Schäden an einem Teil des Autos können ganz woanders verheerend wirken.
Genauso ist es auch bei den sprichwortgebenden Organen Herz und Nieren. Menschen, die unter chronischer Niereninsuffizienz leiden, in Deutschland sind das rund neun Millionen, haben ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte. Die Verbindungen zwischen beiden Organsystemen im Körper sind komplex und vielfältig.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Dalia Alansary, Arbeitsgruppenleiterin im Team von Barbara Niemeyer, Professorin für Molekulare Biophysik an der Universität des Saarlandes, ist es nun gelungen, einen weiteren Zusammenhang in diesem engen Geflecht an Beziehungen zwischen beiden Organsystemen zu erforschen, der dafür sorgt, dass Nierenpatienten im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung dazu neigen, auch Herzinfarkte und Schlaganfälle zu erleiden.
Im Mittelpunkt steht dabei ein spezieller Rezeptor namens P2X7 auf der Oberfläche von bestimmten Blutzellen, den Monozyten. Bei Nierenpatienten hat sich gezeigt, dass diese Monozyten mehr Rezeptoren dieser Art in ihrer Hülle tragen als die Monozyten von gesunden Vergleichspersonen. Durch diesen so genannten purinergen Rezeptor, der mit Adenosintriphosphat (ATP), dem Energiespeicher des Körpers, stimuliert wird, strömt Calcium in die Zellen ein. Die Monozyten sind auch für die Herstellung des Signalstoffs Interleukin-1-alpha (IL-1∝) zuständig, der Entzündungen auslöst und fördert, um als Teil der Immunantwort Krankheitserreger zu bekämpfen.
„Wir haben festgestellt, dass bei nierenkranken Personen veränderte Calciumsignale von P2X7 ausgehen“, sagt Dalia Alansary. Zusammen mit der Erkenntnis, dass P2X7 auf den Monozyten von Patientinnen und Patienten vermehrt vorkommt, lautete daher die Schlussfolgerung: P2X7 spielt hier offenbar eine zentrale Rolle für die Entstehung von Krankheiten in Nieren und am Herzen.
Im Experiment stellten Dalia Alansary und ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Arbeitsgruppen der Biophysik-Professorinnen Leticia Prates Roma und Jutta Engel, insbesondere in enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen und der Klinik der Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin des Universitätsklinikums, fest, dass Mäuse ohne P2X7 tatsächlich geschützt waren gegen Nierenerkrankungen und in geringerem Maße vor akuten Herzerkrankungen. „Überraschenderweise war die schützende Wirkung der Abwesenheit des Rezeptors viel ausgeprägter, wenn wir die Beobachtung über längere Zeiträume ausdehnten, wie etwa bei chronischen Herzerkrankungen“, so die Beobachtung von Dalia Alansary.
Was war geschehen? „Die Monozyten ohne P2X7 haben aufgehört, IL-1∝ und andere entscheidende entzündliche Zytokine zu produzieren“, so die Biophysikerin. In der Folge nahmen auch die Entzündungen ab. Dalia Alansary machte aber noch eine weitere Beobachtung. Denn P2X7 kommt nicht nur in den Blutzellen vor, sondern auch in den Organen selbst. Kommt es also in den Monozyten zum Tragen oder in den Zellen der Organe, wenn der Rezeptor fehlt? „Diese Frage war auch ganz wichtig“, so die Forscherin. In weiteren Experimenten konnten Dalia Alansary und ihre Co-Autoren aber auch diese Frage eindeutig beantworten: „Die Immunzellen, also die Monozyten, spielen hier die Hauptrolle. Sind sie außer Gefecht gesetzt, indem P2X7 fehlt, sind die Mäuse gegen chronische Herzerkrankung geschützt, egal ob der Rezeptor in den Organen noch exprimiert oder nicht“, führt sie weiter aus.
Was folgt nun aus diesen Erkenntnissen? „P2X7 könnte künftig ein wichtiges Ziel für Therapien und Medikamente sein, die gezielt dessen Funktion manipulieren“, sagt Dalia Alansary über weitere wissenschaftliche Schritte, die aufbauend auf ihrer Studie folgen könnten. Kämen irgendwann spezielle Medikamente auf den Markt, die P2X7 adressieren, um Nierenleiden und Herzkrankheiten besser behandeln zu können, liefen die Motoren vieler Patientinnen und Patienten womöglich noch lange und zuverlässig weiter ohne gravierende Schäden.
Originalpublikation:
Maryam Amini, Janina Frisch, Priska Jost, Tamim Sarakpi, Simina-Ramona Selejan, Ellen Becker, Alexander Sellier, Jutta Engel, Michael Böhm, Mathias Hohl, Heidi Noels, Christoph Maack, Stefan Schunk, Leticia Prates Roma, Barbara A. Niemeyer, Thimoteus Speer, Dalia Alansary,
Purinergic receptor P2X7 regulates interleukin-1α mediated inflammation in chronic kidney disease in a reactive oxygen species-dependent manner, Kidney International, 2024, ISSN 0085-2538, https://doi.org/10.1016/j.kint.2024.10.024.