„Erstes Kunstherz für gehörlosen Patienten“
Als erster gehörloser Patient weltweit lebt Herr Leitgeb mit einem Kunstherz. Möglich macht dies ein am LKH-Univ. Klinikum Graz entwickeltes Spezialsystem, das per Vibration bzw. optischem Signal Alarm gibt, wenn z. B. die Batterie zu tauschen ist. Normalerweise passiert das mittels Piepton. Hinter der Entwicklung stehen die Experten der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie der Univ.-Klinik für Chirurgie.
Dass es oft die kleinen Erfolge sind, die das Leben lebenswert machen, spürt Herr Leitgeb tagtäglich. Immer dann, wenn er seine geliebten Hühner füttert. Bis vor einem Jahr war das für ihn undenkbar. Massive Atemnot und Herzschmerzen raubten ihm jegliche Energie. Seit September 2017 ist alles anders. Das Kunstherz, das ihm an der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie des Klinikum Graz implantiert wurde, hilft seinem Blutkreislauf auf die Sprünge.
Ein Kunstherz – nichts Außergewöhnliches? Mitnichten! Denn Herr Leitgeb ist gehörlos und wäre deshalb für ein derartiges System bisher nicht infrage gekommen. Der banale Grund: Er könnte den Piepton nicht hören, der Fehlfunktionen des Gerätes oder den Batteriewechsel anzeigt. Für das Kunstherzteam unter der Leitung von Priv. Doz. Dr. Sotirios Spiliopoulos eine untragbare Situation. „Abgesehen von der Gehörlosigkeit war Herr Leitgeb prädestiniert für diese Art von Kunstherz“, betont Spiliopoulos und erklärt den medizinischen Hintergrund: „Durch die massive Erweiterung der linken Herzkammer schloss die Mitralklappe, die zwischen Kammer und Vorhof liegt, nicht mehr richtig. Die Leistung des Herzens war enorm beeinträchtigt. Nur die Klappe zu tauschen, wäre nicht zielführend gewesen, da der Defekt dadurch nicht behoben hätte werden können. Das Kunstherz war ganz klar die erste Wahl. Und dann sagen alle: Das geht nicht!“
Aber weil bekanntlich Probleme dazu da sind, um gelöst zu werden, gingen die Chirurgen in die Offensive und forcierten gemeinsam mit Wissenschaftlern der TU Graz unter dem Dach des Forschungszentrums für Mechanische Kreislaufunterstützung und Herzersatz die Entwicklung einer passenden Alternative. Innerhalb von kurzer Zeit wurde das bestehende System „HeartMate 3-LVAD“ (siehe Infobox) derart adaptiert, dass die Alarme nun per Vibration spür- und per optischem Signal sichtbar gemacht werden.
Sicherheit gewährleistet: von der Pumpe bis zum Pager
„Die Alarme spüre ich über diesen Pager“, erklärt Herr Leitgeb und zeigt auf das Gerät in seiner Tasche, das auch am Handgelenk getragen werden kann. Seine Gattin und die Tochter haben ebenfalls einen solchen bekommen. In der Nacht sorgt zudem ein vibrierender Polster dafür, dass kein Signal unbemerkt bleibt. Um welches Problem es sich handelt, sieht der Patient dann auf dem Display des Controllers, den er am Gürtel trägt. Der Controller bekommt seine Infos von dem implantierten Kunstherz.
Die Dringlichkeit des jeweiligen Alarms wird zusätzlich durch ein Farbleitsystem betont: Rot bedeutet „lebensbedrohlich“, die 24-Stunden-Hotline ist in dem Fall umgehend zu kontaktieren. „Auch beim Frequenzspektrum ist die Sicherheit gewährleitet“, informiert Spiliopoulos. Es würden ja sowohl Pumpe und Controller als auch Controller und Pager miteinander kommunizieren. „Dabei kommen sich die Signale nicht in die Quere“, formuliert der Arzt salopp.
Einfache Bedienung, mehr Lebensqualität
Das Handling der Innovation für die Patienten ist einfach. „Mein Papa hat eine 90-minütige Einschulung bekommen. Seither läuft alles reibungslos“, erzählt die Tochter. Unglaublich dankbar sind sie und ihre Eltern gleichermaßen dafür, dass sich die Herzchirurgen des Problems angenommen und die Entwicklung des Systems möglich gemacht haben. Denn dadurch müsse nun kein einziger gehörloser oder hörbehinderter Mensch mehr, der durch ein Kunstherz neue Lebensqualität erlangen könnte, nur wegen eines banalen „Piep“ auf ein Kunstherz verzichten.
Zahlen, Fakten, Daten:
An der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie der Univ.-Klinik für Chirurgie des LKH-Univ. Klinikum Graz unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Otto Dapunt wird diese Art des Kunstherzes jährlich etwa zehnmal implantiert, wobei die Zahl ständig steigt. Die Patienten gewinnen durch die technische Unterstützung über viele Jahre massiv an Lebensqualität. Die Systeme funktionieren mehr als zehn Jahre lang reibungslos.
Dafür setzen sich die Mitglieder des Kunstherzteams – darunter Priv. Doz. Dr. Sotirios Spiliopoulos, Leiter des Kunstherzprogramms, und Assistenzärztin Dr. Vera Hergesell – unermüdlich ein.
Die technisch richtige Bezeichnung für das bei Herrn Leitgeb verwendete System ist „HeartMate 3-LVAD“ (Linksventrikuläres Unterstützungssystem). Es ist das derzeit modernste und häufigste System seiner Art auf dem Markt und wird in die linke Herzkammer implantiert. Von dort aus pumpt es das Blut in die Hauptschlagader. Das Herz des Patienten bleibt erhalten.
Im Gegensatz zum „Total artificial heart (TAH)“, dem totalen Kunstherz, bei dem das menschliche Herz komplett herausgenommen wird. Während ein Kunstherz bei jüngeren Patienten meist implantiert wird, um die Wartezeit auf ein Spenderherz zu überbrücken, wird es älteren Patienten oft eingesetzt, um ihnen die Strapazen einer Organtransplantation plus der anschließenden immunsuppressiven Therapie zu ersparen. Letztere ist nach einer Transplantation notwendig, damit das eigene Immunsystem das neue Organ nicht abstößt