AWMF startet Digitalisierung medizinischer Leitlinien
Die über 100.000 Gesundheits-Apps, die derzeit im App-Store verfügbar sind, unterliegen keinerlei verbindlicher Qualitätskontrolle. Bürger, Patienten und Mediziner erwarten daher mehr Orientierung bei den digitalen Anwendungen, die zunehmend auf den Markt kommen und mit unterschiedlichem Erfolg genutzt werden. In den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. ist der aktuelle Wissensstand der Evidenz-basierten Medizin festgehalten. Um Patienten, Medizinstudierenden und Ärzten dieses Leitlinienwissen auch über Apps noch besser zugänglich zu machen, hat die AWMF ein Digitalisierungsprojekt gestartet.
Die zunehmende Flut von Gesundheits-Apps macht es für Anwender schwierig, einen vollständigen Überblick zu bekommen. Noch schwieriger ist es, die Qualität von Apps in Bezug auf Relevanz, Objektivität, Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen. Bislang gibt es dafür keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab. „Das wird jedoch immer wichtiger, da diese digitalen Anwendungen mehr und mehr auch unmittelbaren Einfluss auf Therapien haben“, betont AWMF-Präsident Professor Dr. med. Rolf Kreienberg. Priv. Doz. Dr. med. Urs-Vito Albrecht vom Peter L. Reichertz-Institut für medizinische Informatik der Medizinischen Hochschule Hannover forderte daher auf der letzten AWMF-Leitlinien-Konferenz die unter dem Dach der AWMF vereinten Fachgesellschaften auf, gemeinsam pragmatische Qualitätsanforderungen zu konsentieren und nicht nur fachspezifische Siegel zu entwickeln. Wichtig sei bei einer Qualitätsinitiative, die auf dem von internationalen Unternehmen bestimmten Markt der Apps greifen soll, hohe Sichtbarkeit und Interdisziplinarität. Um die Qualität einer App bewerten zu können, müsste man beispielsweise auf ihre Zweckmäßigkeit, ihr Risikopotenzial, ihre ethische Unbedenklichkeit und auf ihre inhaltliche Validität achten.
Für die inhaltliche Validität stehen die Leitlinien der Fachgesellschaften in der AWMF als verlässliche Grundlage zur Verfügung. Sie dienen Ärzten in Klinik und Praxis dazu, aktuelle, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zum Wohl ihrer Patienten anzuwenden. Patientenversionen der Leitlinien helfen Betroffenen und ihren Angehörigen, sich wissenschaftlich fundiert zu informieren. Um den Zugriff auf Leitlinien und ihre Nutzung, aber auch Transparenz über ihre Entstehung, Aktualisierung und Bewertung zu verbessern, sollen diese künftig digital erstellt, verwaltet, implementiert und evaluiert werden. Dafür bedarf es einer klaren Struktur für alle Leitlinien. Dazu muss ein Datenmodell entwickelt, Terminologien und Schnittstellen definiert werden. „Dies wird Leitlinienautoren spürbare Arbeitserleichterungen schaffen, indem sie bereits existierende digitale Anwendungen nutzen können – beispielsweise für die Bewertung der Evidenz und die Konsensfindung über alle beteiligten Fachdisziplinen“, betont Professor Dr. med. Ina B. Kopp, Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi). Es helfe aber auch dabei, einzelne Aspekte in Leitlinien schneller zu aktualisieren oder Aussagen über mehrere Leitlinien hinweg durchsuchbar zu machen.
Ein besonders großer Nutzen ergibt sich bei der Implementierung des Leitlinienwissens. Ziel des Digitalisierungsprojektes der AWMF ist es auch, Leitlinien oder Leitlinienkomponenten über Systemgrenzen hinweg nutzbar zu machen. Leitlinienwissen ließe sich dann unmittelbar in digitalen Informationsangeboten wie Arztinformationssystemen oder einrichtungsinternen Behandlungspfaden, Lernplattformen für die Ausbildung von Medizinstudierenden und Informationsportalen für Patient*innen und Bürger*innen einbinden. Es wäre außerdem optimal für Apps zu nutzen. „So könnten wir ermöglichen, dass in den vielen auf dem Markt befindlichen Gesundheits-Apps verlässliches medizinisches Wissen enthalten ist“, prognostiziert Professor Dr. med. Claudia Spies, Vorsitzende der Ständigen Kommission Leitlinien der AWMF.
Bis zum Jahr 2022 soll laut AWMF-Plan die Digitalisierung von Leitlinien umgesetzt sein. Dann können Leitlinien noch besser dazu beitragen, verlässliches Wissen in der medizinischen Ausbildung und Versorgung zu verankern sowie durch entsprechende Informationsangebote die Autonomie und das Selbstmanagement von Patient*innen und Bürger*innen zu stärken.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. bündelt die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 179 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Gegründet 1962 mit dem Ziel, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren, erarbeitet die AWMF seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im wissenschaftlichen und politischen Raum. Die AWMF ist Ansprechpartner für gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen Bundesausschuss, und koordiniert die Entwicklung und Aktualisierung medizinisch- wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede gemeinnützige Fachgesellschaft in Deutschland kann Mitglied werden, sofern sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert sich vorwiegend durch die Beiträge ihrer Mitgliedsgesellschaften und Spende
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