Der Tumor spielt falsch
Forschungsverbund sucht nach winzigen Tumoranzeichen im Blut, um Krebserkrankungen früher nachzuweisen – BMBF-Förderung von insgesamt 1,3 Millionen Euro
„Wenn wir den Tumor sehen können, ist es eigentlich schon zu spät“, sagt PD Dr. Georg Weber. Er meint damit: Wenn ein Tumor schon so groß ist, dass er in bildgebenden Verfahren nachweisbar ist, ist eine Heilung bei besonders aggressiven Krebsarten wie dem Bauchspeicheldrüsenkrebs kaum noch möglich. „Früherkennung“ lautet daher das immer lauter werdende Mantra der Onkologie. Früher nachzuweisen, dass sich eine Krebserkrankung neu bildet, könnte in Zukunft vielen Patienten das Leben retten. Eine Methode, die das möglich machen soll, ist die sogenannte Flüssigbiopsie. Ihre Rolle in der Krebsfrüherkennung untersucht PD Dr. Weber als Projektkoordinator eines neuen Forschungsverbunds. Der Oberarzt der Chirurgischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Robert Grützmann) des Universitätsklinikums Erlangen will Tumormarker, also kleinste Vorboten einer Krebserkrankung, im Blut identifizieren und sicher nachweisen. Bis es so weit ist, müssen die Forscher aber zunächst herausfinden, wie das, was sie suchen, überhaupt aussieht.
Das große Blutbild – es gibt Aufschluss über Cholesterin, Leberwerte oder den Blutzucker. Im Blut können auch Entzündungswerte nachgewiesen werden oder Infektionen wie das HI-Virus. Und bald auch Krebs? „Liquid Biopsy“ oder „Flüssigbiopsie“ liest man dieser Tage in den Zeitungen. Brustkrebs soll bald frühzeitig und durch eine einfache Blutentnahme erkannt werden können. Auch PD Dr. Weber forscht zu Flüssigbiopsien, aber am Beispiel gastrointestinaler Tumoren. Er und Prof. Grützmann sehen die aktuellen Schlagzeilen kritisch: „In der Krebsforschung ist die wissenschaftliche Konkurrenz groß. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass neue Ergebnisse bei den Patienten verständlicherweise viele Hoffnungen wecken. Voreilige Versprechen führen da schnell zu Enttäuschungen“, sagt der Klinikdirektor. „Tatsächlich ist es so: Bis Krebs sicher im Blut nachweisbar ist, werden noch viele Jahre vergehen.“
Im neuen Verbundprojekt zur Erforschung der Tumormarker hat sich die Chirurgie des Uni-Klinikums Erlangen um PD Dr. Weber mit dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB), dem Center for Systems Biology, dem Dana-Farber Cancer Institute (beide Boston, USA) und dem Bioinformatik-Spezialisten Genedata zusammengeschlossen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Konsortium mit insgesamt 1,3 Millionen Euro über drei Jahre – allein 645.000 Euro davon gehen an den Erlanger Standort.
Wer spielt falsch?
Bei der Flüssigbiopsie zur Tumordiagnose geht es um die Annahme, dass ein Tumor bereits in einem frühen Stadium Zellbestandteile ins Blut abgibt. Diese sind so spezifisch für bestimmte Krebsarten, dass ein Arzt sie in einer Blutprobe nachweisen kann. Aber: Wie findet man etwas, wenn man nicht weiß, wie es aussieht? „Das ist die große Herausforderung“, erklärt PD Dr. Weber. „Wir müssen die im Blut zirkulierenden Tumor-Produkte wie die Tumor-DNA oder Tumor-Exosome zunächst identifizieren.“
Und noch eine weitere Herausforderung gibt es. Meist ist der Körper überwiegend gesund und das kranke Tumorgewebe macht nur einen winzigsten Teil aus. „Man muss sich ein gigantisches Orchester vorstellen“, beschreibt PD Dr. Weber. „Alle spielen mit ganzer Kraft und die Lautstärke ist überwältigend. Nur eine einzige kleine Geige, ein einzelner Musiker spielt falsch. Ihn müssen wir heraushören lernen.“ Eine Mammutaufgabe. Aber die Erlanger Forscher haben einen großen Vorteil: Als Chirurgen haben sie neben dem Blut auch Zugang zu dem eigentlichen Tumor ihrer Patienten, der die gesuchten Tumor-Produkte ins Blut abgibt – somit sehen sie den falsch spielenden Geiger im Scheinwerferlicht. Im Vergleich der kranken Patienten mit der gesunden Kontrollgruppe sollen die Unterschiede im Blut sicher nachgewiesen werden.
Der neue Forschungsverbund hat drei Ziele: erstens, das Identifizieren der Tumor-Produkte im Blut – und zwar mit höchster Validität. „Die Sensitivität und Spezifizität des zukünftigen Verfahrens sind uns besonders wichtig“, betont PD Dr. Weber. Das bestätigt auch Prof. Dr. Matthias Beckmann als Direktor des Comprehensive Cancer Centers Erlangen-EMN: „In der Vergangenheit wurden zu oft Patienten fälschlicherweise therapiert, weil die in den Blutuntersuchungen nachgewiesenen sogenannten ‚Tumormarker‘ nicht spezifisch waren. Neue Diagnoseverfahren müssen deshalb absolut präzise sein und krankheitsspezifische Tumorbestandteile nachweisen.“ Zweitens wollen die Wissenschaftler noch mehr über Tumoren selbst lernen, wie sie wachsen, Metastasen bilden und wie sie sich auf Gen- und Protein-Ebene verändern. Drittens sollen diese Erkenntnisse in die Entwicklung neuer Medikamente fließen.