Künstliche Intelligenz soll „Tumor-Matsche“ entschlüsseln
BMBF fördert Projekt zur Krebsforschung der Regensburger Bioinformatiker
Tumor-Matsche? Das klingt nach etwas zum Entsorgen. Aber dieses Gewebe, das durch den Mixer ging, kann zahlreiche Informationen enthalten, die für die Krebsforschung äußerst interessant sind – man muss nur an sie rankommen. Und genau da setzen die Bioinformatiker der Universität Regensburger an. Sie wollen in ihrem Projekt künstliche Intelligenz entwickeln, die aus der Matsche wieder Eigenschaften der ursprünglichen Gewebe rekonstruieren – und der Krebsforschung damit etwa zehn Jahre Zeit spart. Gefördert wird das Projekt „TissueResolver: A computational tool box and web application for computing and sharing cell type resolved expression profiles of tissues“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 530.000 Euro für die nächsten drei Jahre.
Schon seit rund 20 Jahren können Forscher pro Gewebeprobe bis zu 30.000 Genexpressionen messen, die Informationen über Tumore liefern. Dafür geht Gewebe zunächst durch den Mixer. Es entsteht ein Gemisch, in dem die einzelnen Zellen aufgelöst sind, so dass dann z. B. RNA entnommen werden kann. Anhand der Untersuchungen versuchen die Wissenschaftler vorherzusagen, auf welche Medikamente ein Tumor ansprechen wird. Doch da unterschiedlichste Zellen (z. B. Tumor-, Bindegewebs- und Immunzellen) in dem Gewebe sind, lässt sich so oft nicht sagen, von welchen Zellen die gemessene RNA oder Proteine stammen, was die Vorhersagen schwieriger macht. Wenn ein Gewebe zum Beispiel die Information enthält, dass Gene für Zellteilung hochreguliert sind, stellt sich die Frage, woher dieses Signal kommt. Kommt es aus den Tumorzellen, so wächst der Tumor. Kommt das Signal aber aus den Immunzellen, so bekämpft das Immunsystem den Tumor. Bisher konnten diese gegenteilig prognostischen Informationen nicht auseinander gehalten werden.
Inzwischen können Messungen für einzelne Zellen gemacht werden. Das bringt viel genauere Einblicke. So können die Wissenschaftler zum Beispiel erkennen, ob die Immunzellen den Tumor erkannt haben, ob sie darauf reagieren oder ob sie vielleicht sogar das Gegenteil machen und den Tumor schützen. Der Nachteil dieser Methode ist aber, dass sie noch so jung ist. Von den so untersuchten Fällen, weiß man heute noch nicht, wie sich die Krankheiten entwickeln werden. Das muss man abwarten. Zu den Untersuchungen an der Tumor-Matsche gibt es dagegen perfekte Ansprechdaten aus vielen Studien.
Deshalb wollen die Regensburger Bioinformatiker nun eine Methode entwickeln, um Informationen etwa zu Immunzellen auch aus den alten Messdaten der Gewebe zu erhalten. Denn die Signale sind auch in dem zermixten Gewebe vorhanden, sie sind nur überdeckt. Wie man sie wieder freilegt, wollen die Wissenschaftler nun untersuchen. „Wir wollen mithilfe von künstlicher Intelligenz lernen, wie man an den alten Daten nachträglich errechnen kann, was in den einzelnen Zellen drin war“, erzählt der Bioinformatiker, Prof. Dr. Rainer Spang. Dafür füttern die Wissenschaftler den von ihnen entwickelten TissueResolver zunächst mit Lern-Datensätzen. Hier werden alte Messdaten vom Gewebe mit Daten einzelner Zellen des gleichen Gewebes verglichen. „Daran lernen wir, wie man aus der Summe wieder auf die Einzelteile rückschließen kann“, so Prof. Spang. „Das funktioniert, weil künstliche Intelligenz subtile Unterschiede in den zelltypspezifischen Korrelationen zwischen Messwerten aufspüren und so zurückschließen kann, ob ein Signal etwa aus einer Tumorzelle oder einer Immunzelle kam.“
Die Daten, die so entstehen, sind zwar nicht so detailliert, wie die Messdaten an einzelnen Zellen. Doch bis die großen Datenmengen bei der Einzel-Zell-Messung mit dem Ansprechen einer Therapie verglichen werden können, werden noch einige Jahre vergehen. „Wir wollen mit dem TissueResolver eine Überbrückung schaffen. Unser Ziel ist es, zehn Jahre schneller an diese Ergebnisse zu kommen“, erklärt Prof. Dr. Rainer Spang.