Neurogenetik auf Erfolgskurs
Fortschritte in der Neurogenetik haben für verschiedene Erkrankungen Genmutationen als mögliche Ursache identifiziert. Auf diese Weise ist nicht nur eine gezielte Diagnostik zur Bestätigung klinischer Diagnosen und die genetische Beratung Betroffener möglich, sondern auch zunehmend die Korrektur der individuellen molekularen Defekte bzw. eine Kompensation oder Modifikation deren Folgen. Bei der Parkinson-Erkrankung werden mutationsbedingte Enzymdefekte bereits medikamentös in klinischen Studien angegangen – wie zwei aktuelle Publikationen zeigen [1, 2], die Kongresspräsident Prof. Thomas Gasser, Tübingen, auf dem DGN-Kongress in Stuttgart vorstellte.
Alle durch Genmutationen bedingte Erkrankungen haben gemeinsam, dass Mutationen in der DNA jeder Körperzelle zur Bildung fehlerhafter Eiweiße (Proteine) führen. Defekte Proteine bedingen dann gestörte Funktionen und die Krankheitssymptome. Insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Parkinson- oder der Alzheimer-Erkrankung findet man zusätzlich das Phänomen der sogenannten zellulären Einschlusskörper. Dabei verklumpt das defekte Protein aufgrund einer Molekül-Fehlfaltung und lagert sich in Gehirnzellen als kleine Körnchen bzw. Protein-Aggregationen ab. Diese Protein-Aggregate können im Zellplasma oder im Zellkern, aber auch in der Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Hirnwasser, Liquor) gefunden werden. Nicht für alle Erkrankungsmechanismen ist die Bedeutung dieser Ablagerungen bisher vollständig geklärt. Beim Morbus Parkinson kommt es zur pathologischen Ablagerung des fehlgefalteten α-Synuklein-Proteins in den Gehirnzellen (sog. Lewy-Körperchen).
Neuer Therapieansatz für Parkinson: Glucosylceramid (GL-1)-Synthase-Hemmer
Bisher sind durch neueste molekulargenetische Hochdurchsatzverfahren (komplette Exom- bzw. Genomanalysen) mehr als 15 Parkinson-Gene identifiziert worden, wobei die Mehrheit der Patienten allerdings keine Mutationen aufweist (sporadische Parkinsonformen). Jedoch sind auch sogenannte Risiko-Mutationen bekannt, die zur Erkrankungsmanifestation – auch bei sporadischen Formen – beitragen. Ein bedeutsamer genetischer Risikofaktor ist eine Mutation im GBA-Gen. In Deutschland sind knapp 10% der Parkinsonpatienten Träger einer GBA-Mutation. Patienten, die eine GBA-Mutation besitzen, haben meist einen früheren, schwereren und schnelleren Krankheitsverlauf und häufig zusätzliche, nicht-motorische Symptome wie Depressionen, Demenz oder eine Herzkreislauffehlregulation. Das GBA-Gen kodiert das lysosomale Enzym Glukocerebrosidase (GBA). Durch die Mutation ist die Aktivität des GBA-Enzyms herabgesetzt, welches in den sog. Lysosomen, das sind Zellorganellen, die Proteine und Lipide abbauen können, normalerweise Glucosylceramide (GL) abbaut. Eine verminderte GBA-Aktivität führt nun wahrscheinlich zu einer Störung der Funktion der Lysosomen und fördert so die α-Synuklein-Aggregation, da dieses Protein ebenfalls im Lysosom abgebaut wird.
Eine internationale Phase-2-Studie, deren erste Teilergebnisse gerade vor wenigen Tagen auf dem MDS-Kongress („Movement Disorders Society“) in Nizza präsentiert wurden [1], untersuchte Venglustat, einen oralen Glucosylceramid (GL-1)-Synthase-Hemmer. Das Medikament hemmt die körpereigene Bildung (Synthese) von GL-1. 22 Patienten erhielten einmal täglich Venglustat, sieben Patienten erhielten Placebo. Sie stammten aus 20 Zentren weltweit, waren zwischen 18 bis 80 Jahre alt, waren seit mindestens zwei Jahren erkrankt und wiesen eine GBA-Mutation (keine sonstige Risiko-Mutation) auf. Die Behandlung erstreckte sich über 32-52 Wochen mit vierwöchentlichen Kontrollterminen. Wenn das Medikament gut vertragen wurde, wurde nach vier Wochen die Dosis gesteigert, so dass es insgesamt drei verschiedene Dosisgruppen gab. Die Konzentration von Glucosylceramid-1 im Blut sowie im Liquor sank gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von vier Wochen dosisabhängig bis über 70% ab. Die Rationale der Studie besteht nun darin, dass eine „Entlastung“ des GBA-Enzyms von seinem natürlichen Substrat die Verarbeitungskapazität für das α-Synuclein erhöhen sollte.
„Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie unser Verständnis der molekulargenetischen Ursachen und Krankheitsmechanismen zur therapeutischen Modifikation der Folgeerscheinungen genutzt werden kann“, kommentiert Professor Dr. Thomas Gasser, Zentrum für Neurologie, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurodegenerative Erkrankungen, Kongresspräsident des DGN-Kongresses 2019 in Stuttgart. „Natürlich werden nun mit Spannung die ersten klinischen Ergebnisse erwartet.“
Neues Therapieprinzip zur Hemmung eines Gendefekts geht in die klinische Prüfung
Eines der bisher bekannten Parkinson-Gene ist das LRRK2-Gen. Dieses Gen kodiert das Enzym „Leucine-rich repeat kinase 2” (LRRK2), welches wahrscheinlich für die Aufrechterhaltung einer ganzen Reihe von Zellfunktionen wichtig ist, da dieses Protein zu den Kinasen zählt. Kinasen sind Enzyme, die andere Proteine durch den Anbau eines Phosphatrests modifizieren und damit innerhalb der Zelle wichtige Signale übertragen können. Interessanterweise wird die LRRK2-Kinase durch parkinsonverursachende Mutationen „überaktiv“.
Anfang September wurde die Denali-Studie [2] begonnen, in der Parkinson-Patienten mit einem oralen LRRK2-Inhibitor (DNL151) behandelt werden. Zuvor wurde DNL151 bei gesunden, freiwilligen Testpersonen untersucht. DNL151 ist ein „small molecule“-Inhibitor, die LRRK2-Hemmung soll das überaktive Kinasesignal vermindern und damit Krankheitsprogression verlangsamen. In die multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Phase-Ib-Studie wurden Patienten mit leichter bis mittelschwerer Parkinson-Erkrankung mit und ohne LRRK2-Mutation eingeschlossen. Evaluiert werden sollen Sicherheit, Verträglichkeit, Pharmakokinetik, Biomarker sowie verschiedene Laborparameter und orientierend auch klinische Endpunkte. Die Patienten erhalten randomisiert entweder eine niedrige oder höhere DNL151-Dosis oder Placebo. Anfang 2020 werden bereits erste Ergebnisse erwartet.
Um den Therapieerfolg evaluieren zu können, war es notwendig, die LRRK2-Aktivität quantifizieren zu können. In einem aufwändigen Projekt [3] wurde die anhand der „LRRK2-vermittelten Phosphorylierung von Rab10“ in neutrophilen Granulozyten bestimmt. „Ras related in brain“ (Rab)-Proteine sind ein physiologisches Substrat für das LRRK2-Enzym, sie werden durch das Enzym phosphoryliert, also chemisch mit einer Phosphatgruppe verbunden. Neutrophile Leukozyten enthalten physiologischerweise relativ viel LRRK2 sowie Rab10. Nach etlichen laborchemischen Entwicklungsschritten wurde die Phosphorylierungsstelle (das „Rab10 Thr73 Phospho-Epitop“) mit einem monoklonalen Antikörper („MJFF-p Rab102“) markiert. Quantifiziert wurde die Phosphorylierung des Rab10 schließlich mittels einer speziellen Elektrophorese. Abschließend wurde die Methode bei Parkinson-Patienten mit und ohne LRRK2-Mutation sowie gesunden Probanden klinisch validiert. Neutrophile Granulozyten sind eine homogene Zellsorte, sie sind beim Menschen in ausreichender Menge verfügbar und einfach zu gewinnen; im Ergebnis erwiesen sie sich als verlässliche körpereigene Quelle für ein Monitoring der LRRK2-Aktivität mit reproduzierbaren, robusten Ergebnissen. Dieser neue Ansatz mit Neutrophilen erscheint den Forschern daher viel geeigneter als die sonst ebenfalls oft verwendeten Blut-Monozyten, die aber eine viel heterogenere Zellsorte darstellen und die auch nur in geringen Mengen LRRK2 exprimieren.
„Auch wenn die monogenen, also auf einer einzigen Mutation beruhenden Parkinson-Erkrankungen nur einen kleinen Teil der Patienten ausmachen, ist aber dennoch denkbar, dass die medikamentöse Hemmung der LRRK2-Aktivität auch bei sporadischen Formen nützlich ist“, so Prof. Gasser. „Die neurogenetische Erforschung der zellulären Fehlfunktionen identifiziert immer mehr mögliche therapeutische Angriffspunkte, und abgeleitete Therapien werden in Zukunft allen Parkinson-Patienten zu Gute kommen. Es ist aber extrem aufwendig, aus allen Möglichkeiten diejenigen Therapietargets herauszufiltern, die bahnbrechende Erfolge erwarten lassen.“
Antisense-Oligonukleotid-Therapie: Die Mutationen „austricksen“
Ein therapeutischer Durchbruch scheint in der Neurogenetik durch die Therapie mit sogenannten Antisense Oligonukleotiden (ASO) zu gelingen – inzwischen bereits bei mehreren chronischen neurologischen Krankheiten. ASO sind kleine „falsche“ DNA-Bausteine, die in den Zellen die Ablesung der mutierten Genabschnitte stoppen und so die Bildung des defekten Proteins verhindern. Da ASOs nicht vom Blut in das Gehirn übertreten, müssen sie direkt in das Hirnwasser (Liquor) injiziert werden (intrathekale Gabe). Bei einer frühkindlichen, sehr schweren Form der Spinalen Muskelatrophie, der SMA Typ I ist inzwischen eine Behandlung mit Antisense-Oligonukleotiden, dem Medikament Nusinersen, bei Säuglingen möglich und führt zu geradezu spektakulären Erfolgen.
Dieses Jahr zeigte eine Phase-1b/2a- Studie [4], dass auch ältere Kinder (2-15 Jahre) mit etwas langsamer verlaufenden Formen der SMA (Typ II oder III) von einer Behandlung profitieren. 28 Kinder wurden über 253 Tage mit steigenden Dosierungen behandelt (3 bis 12 mg); die Erweiterung der Studie erstreckte sich über 715 Tage (mit 12 mg). Im Ergebnis hatten sich alle Werte der motorischen Tests, also die Muskelfunktionen, deutlich verbessert. Es gab keine Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen.
Literatur
[1] Peterschmitt MJ, Hattori N, Saiki H et al. Safety, Pharmacokinetics, and Pharmacodynamics of Oral Venglustat in the Japanese and the Rest of the World Parkinson’s Disease Population With a GBA Mutation: Results From From Part 1 of the MOVES-PD Study. Poster MDS-Kongress, Nizza 2019
[2] https://www.globenewswire.com/news-release/2019/09/04/1910858/0/en/Denali-Therap…
[3] Fan Y, Howden AJM, Sarhan AR et al. Interrogating Parkinson’s disease LRRK2 kinase pathway activity by assessing Rab10 phosphorylation in human neutrophils. Biochem J 2018 Jan; 475 (1): 23-44
[4] Darras BT, Chiriboga CA, Iannaccone ST et al. Nusinersen in later-onset spinal muscular atrophy: Long-term results from the phase 1/2 studies. Neurology 2019 May; 92 (21): e2492-e2506
Weitere Informationen:
http://www.dgn.org
http://www.dgnkongress.org