Vom Krebsmedikament zum Antibiotikum
Forscher des HZI und der TU München funktionieren Wirkstoff zu MRSA-Therapie um
Das Bakterium Staphylococcus aureus kann in der normalen bakteriellen Gemeinschaft des Körpers vorkommen, aber auch schwere Infektionen auslösen. Die Bakterien haben oftmals Resistenzen gegen das Standardantibiotikum Methicillin (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, MRSA) erworben oder weisen sogar Multiresistenzen gegen mehrere Antibiotika auf. Insbesondere in Krankenhäusern ist MRSA häufig ursächlich für schwere und hartnäckige Infektionen. Daher werden dringend neue Wirkstoffe benötigt, die MRSA-Infektionen kontrollieren können. Um den langwierigen und teuren Entwicklungsprozess abzukürzen, haben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Technischen Universität München (TUM) einen innovativen Ansatz zur Antibiotikaentwicklung genutzt. Die Forscher haben ausgehend von einem zugelassenen Krebsmedikament, das auch moderat gegen MRSA wirkt, mittels chemischer Synthese die antimikrobiellen Eigenschaften erheblich verbessert. Das resultierende Molekül PK150 beseitigt effektiv hartnäckige MRSA-Infektionen, ohne dass Resistenzen auftreten. Die Ergebnisse erscheinen in der Fachzeitschrift Nature Chemistry.
Antibiotikaresistenzen kommen natürlicherweise vor und ermöglichen es den Bakterien, sich zu verteidigen. Durch den massenhaften und fehlerhaften Einsatz antibiotischer Wirkstoffe breiten sich die Resistenzen jedoch immer stärker aus. Infektionen mit multiresistenten Erregern, die mehreren Antibiotika widerstehen, sind nur noch schwer zu behandeln. Mittlerweile sind Staphylokokken-Stämme, die gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind (MRSA), weit verbreitet, und auch multiresistente Staphylokokken sind auf dem Vormarsch. „Die industrielle Entwicklung neuer Antibiotika stockt momentan und kann mit der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen nicht Schritt halten. Wir brauchen dringend innovative Ansätze, um den Bedarf an neuen Infektionstherapien, die nicht unmittelbar zu erneuter Resistenzbildung führen, zu decken“, sagt Prof. Eva Medina, Leiterin der HZI-Forschungsgruppe „Infektionsimmunologie“.
Eine vielversprechende Strategie ist es, bestehende humane Medikamente auf eine mögliche Wirkung gegen Bakterien zu testen. „Unser Schwerpunkt lag hierbei auf einer Klasse von menschlichen Proteinen, sogenannten Kinasen, für die es bereits sehr viele Hemmstoffe gibt“, sagt Studienleiter Prof. Stephan Sieber, Professor für organische Chemie an der TUM und wissenschaftlich assoziiert mit dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des HZI in Kooperation mit der Universität des Saarlands. Der Wirkstoff Sorafenib, ein Krebsmedikament, das gegen MRSA aktiv ist, wurde von den Forschern systematisch chemisch modifiziert, um eine stärkere antibiotische Wirkung zu erreichen. So entwickelten sie das Molekül PK150, das zehnmal wirksamer gegen MRSA ist als die Ausgangssubstanz.
Der potente neue Wirkstoff wirkt gegen mehrere unkonventionelle Zielstrukturen bei den Bakterien. Zwei Angriffsziele wurden genauer untersucht: PK150 hemmt einerseits ein essenzielles Protein des bakteriellen Energiestoffwechsels und wirkt andererseits an der Zellwand. Im Unterschied zu bereits bekannten Antibiotika wie Penicillin und Methicillin, die die Bildung der Zellwand stören, wirkt PK150 indirekt. Es bringt die Proteinsekretion der Bakterien aus dem Gleichgewicht. Dadurch geben die Bakterien mehr Proteine, die die Zellwandstärke kontrollieren, nach außen ab und die Zellen platzen auf. „Durch die chemischen Veränderungen an dem Molekül bindet PK150 auch nicht mehr an die menschlichen Kinasen, sondern wirkt sehr spezifisch gegen bakterielle Ziele“, sagt Sieber.
Medina und Dr. Katharina Rox, Pharmakologin aus der Abteilung „Chemische Biologie“ am HZI, zeigten, dass PK150 günstige pharmakologische Eigenschaften aufweist. Es kann beispielsweise als Tablette verabreicht werden und ist im Körper über mehrere Stunden stabil. In einem Infektionsmodell in Mäusen (in vivo) war PK150 in verschiedenen Geweben gegen MRSA wirksam. Während Staphylokokken schnell Resistenzen gegen andere Antibiotika entwickeln, beobachteten die Forscher keine Resistenzbildung gegen PK150. Prof. Dietmar Pieper, Leiter der HZI-Forschungsgruppe „Mikrobielle Interaktionen und Prozesse“, begründet dies damit, dass die simultane Resistenzentwicklung an mehreren Angriffszielen für Bakterien ungleich schwieriger sei. „MRSA-Infektionen sind besonders häufig chronisch, da die Bakterien in eine Art Ruhezustand verfallen können. PK150 tötet auch diese persistierenden, also überdauernden Zellen sowie Keime, die sich geschützt in Biofilmen befinden. PK150 hat also zahlreiche Eigenschaften, die es zu einem hoffnungsvollen Antibiotikakandidaten machen“, sagt Sieber. PK150 wird derzeit von dem VIP+ geförderten Projekt aBACTER optimiert, um anschließend in die klinische Entwicklungsphase eintreten zu können.
Originalpublikation:
Philipp Le, Elena Kunold, Robert Macsics, Katharina Rox, Megan C. Jennings, Ilke Ugur, Maria Reinecke, Diego Chaves-Moreno, Mathias W. Hackl, Christian Fetzer, Franziska A. M. Mandl, Johannes Lehmann, Vadim S. Korotkov, Stephan M. Hacker, Bernhard Kuster, Iris Antes, Dietmar H. Pieper, Manfred Rohde, William M. Wuest, Eva Medina, Stephan A. Sieber: Repurposing human kinase inhibitors to create an antibiotic active against drug-resistant Staphylococcus aureus, persisters and biofilms. Nature Chemistry 2019, doi: 10.1038/s41557-019-0378-7
Nach Ablauf der Sperrfrist finden Sie diese Pressemitteilung auch auf unserer Homepage: https://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/news/
Bildmaterial finden Sie bereits jetzt auf der Seite der Technischen Universität München unter https://mediatum.ub.tum.de/1524870
Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. Das HZI ist Mitglied im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). www.helmholtz-hzi.de