Übersicht über potentielle Wirkstoffe gegen COVID-19
Original Titel:
Discovering drugs to treat coronavirus disease 2019 (COVID-19)
MedWiss – Wissenschaftler haben derzeit mehrere Wirkstoffe im Visier, die potenziell gegen COVID-19 helfen könnten. In der vorliegenden Übersichtarbeit chinesischer Wissenschaftler werden einige dieser Wirkstoffe vorgestellt. Während es bei einigen Wirkstoffen nur theoretische Daten oder in vitro-Daten gibt, die auf eine Wirksamkeit hindeuten, wurde bei anderen Wirkstoffen (wie z. B. Chloroquin, Hydroxychloroquin, Remdesivir, Favipiravir und Lopinavir/Ritonavir) schon mit klinischen Studien begonnen.
Ein wichtiges Ziel aller bisherigen Maßnahmen, die von den Regierungen beschlossen werden, ist es die Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) zu verlangsamen und somit Zeit zu gewinnen. Die Zeit wird nicht nur benötigt, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, sondern ist auch essentiell für die Forschung. Derzeit wird auf Hochtouren nach Impfstoffen und Wirkstoffen zur Behandlung von COVID-19 geforscht. Obwohl derzeit noch kein Medikament nachweislich gegen die Erkrankung, die von dem neuen Coronavirus ausgelöst wird, wirkt, gibt es dennoch einige vielversprechende Kandidaten. Diese Kandidaten werden beispielsweise bei anderen viralen Erkrankungen wie HIV eingesetzt oder haben sich gegen andere Coronaviren (SARS-CoV, MERS-CoV) als potentiell wirksam gezeigt. Wissenschaftler aus China stellten in einer Übersichtsarbeit einige dieser Kandidaten vor.
Wirkstoffe, die von der chinesischen Leitlinie empfohlen werden
In China werden bereits 5 verschiedene antivirale Wirkstoffe für die Behandlung von COVID-19 empfohlen: IFN-α, Lopinavir/Ritonavir, Ribavirin, Chloroquin und Arbidol. Die Empfehlungen sind in der 6. Version der Leitlinie zur Prävention, Diagnose und Behandlung von COVID-19, die von der Nationalen Gesundheitskommission der Volksrepublik China herausgegeben wurde, aufgeführt.
IFN-α zeigt ein weites Spektrum antiviraler Eigenschaften. Normalerweise wird IFN-α für die Behandlung von Hepatitis eingesetzt. In vitro-Studien gaben Hinweise darauf, dass IFN-α die SARS-CoV-Reproduktion hemmte. Untersuchungen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 stehen jedoch noch aus.
Lopinavir/Ritonavir ist eine Wirkstoffkombination, die in Kombination mit weiteren Wirkstoffen bei der Behandlung von HIV zum Einsatz kommt. Auch dieser Wirkstoff schien möglicherweise gegen SARS-CoV wirksam zu sein. Dafür sprachen sowohl in vitro-Daten als auch Daten von klinischen Studien. Ob das auch für das neue Coronavirus SARS-CoV-2 gilt, ist noch nicht abschließend geklärt. Eine Studie deutete jedoch darauf hin, dass dies nicht der Fall ist (Studie von Cao und Kollegen, 2020 in der medizinischen Fachzeitschrift The New England journal of medicine veröffentlicht). Dennoch ist weitere Forschung sinnvoll, um endgültige Schlüsse zu ziehen. Europa hat nun mit den ersten klinische Studien zu diesen Wirkstoffen begonnen.
Ribavirin ist ein Nukleosid-Analogon und wirkt gegen viele verschiedene Viren. Im Rahmen einer Studie von 2004 bekamen Patienten, die sich mit SARS-CoV infizierten, entweder Ribavirin allein oder in Kombination mit Lopinavir/Ritonavir. Die Patienten, die die Kombinationstherapie erhielten, hatten ein geringeres Risiko für ein akutes Lungenversagen und ein geringeres Sterberisiko. Doch auch die Studien zu Ribavirin beziehen sich auf SARS-CoV und nicht auf das aktuelle SARS-CoV-2.
Chloroquin ist ein Wirkstoff, der gegen Malaria angewandt wird. Eine in vitro-Studie zeigte, dass Chloroquin die Infektion mit SARS-CoV-2 schon bei geringen Konzentrationen blockierte (Studie von Wang und Kollegen, 2020 in der medizinischen Fachzeitschrift Cell research veröffentlicht). Klinische Studien zu Chloroquin gegen SARS-CoV-2 werden derzeit durchgeführt. Zu Hydroxychloroquin, welches Chloroquin ähnlich ist, hat Europa nun eine klinische Studie gestartet.
Arbidol ist ein Virostatikum, das in Russland und China – nicht jedoch in Deutschland – gegen das Influenza-Virus (Grippe) eingesetzt wird. Auch hier deuten in vitro-Daten an, dass der Wirkstoff gegen SARS-CoV-2 helfen könnte. Auch bei der Anwendung des Wirkstoffs bei Patienten gab es bereits erste Hinweise auf eine Wirksamkeit von Arbidol gegen COVID-19. Diesen Hinweisen muss nun in weiteren Studien nachgegangen werden.
Weitere potenzielle Wirkstoffe gegen COVID-19
Neben den oben genannten Wirkstoffen, die sich in der chinesischen Leitlinie wiederfinden, nennen die Autoren der Übersichtsarbeit weitere Wirkstoffe, die eventuell in Zukunft im Kampf gegen COVID-19 bedeutsam werden könnten:
Favipiravir ist ein RNA-Polymerase-Inhibitor und wirkt somit gegen RNA-Viren. Auch das neue Coronavirus ist ein RNA-Virus. Derzeit laufen klinische Studien, die untersuchen, ob Patienten mit COVID-19 tatsächlich von Favipiravir profitieren. Vorläufige Daten deuten an, dass Favipiravir möglicherweise wirksamer ist als Lopinavir/Ritonavir. Klare Aussagen lassen sich jedoch erst treffen, wenn die klinischen Studien abgeschlossen sind.
Remdesivir ist wie Ribavirin ist ein Nukleosid-Analogon. Experimente an Mäusen zeigten, dass Remdesivir die Menge an MERS-CoV im Lungengewebe reduzieren und die Lungenfunktion verbessern konnte. Ähnlich wie Chloroquin konnte auch Remdesivir in einer in vitro-Studie die Infektion mit SARS-CoV-2 schon bei geringen Konzentrationen blockieren (Studie von Wang und Kollegen, 2020 in der medizinischen Fachzeitschrift Cell research veröffentlicht). Klinische Studien, die die Wirksamkeit von Remdesivir bei Patienten mit COVID-19 untersuchen, sind in China bereits gestartet. Mit Ergebnissen wird Ende April 2020 gerechnet. Und auch Europa (mit Beteiligung aus Deutschland) hat eine klinische Studie zu diesem Wirkstoff gestartet.
Darunavir ist ein HIV-Medikament. Auch dieser Wirkstoff soll laut chinesischer Wissenschaftler in der Lage gewesen sein, in vitro die Infektion mit SARS-CoV-2 zu hemmen. Weitere Studien müssen zeigen, ob diese Ergebnisse auch in realen Bedingungen Bestand haben.
TMSPSS2 (type II transmembrane serine protease)-Inhibitoren und der Proteinkinaseninhibitor Imatinib scheinen sich theoretisch ebenfalls als Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 eignen zu können. Dies hemmen nämlich Proteine, die der Virus vermutlich für das Eindringen in die Wirtszelle benötigt.
Es gibt somit derzeit viele Wirkstoffe, die potenziell gegen COVID-19 helfen könnten. Während es bei einigen Wirkstoffen nur theoretische Daten oder in vitro-Daten gibt, die auf eine Wirksamkeit hindeuten, wurde bei anderen Wirkstoffen (wie z. B. Chloroquin, Hydroxychloroquin, Remdesivir, Favipiravir und Lopinavir/Ritonavir) schon mit klinischen Studien begonnen. Es braucht Zeit, bis man mit großer Sicherheit sagen kann, dass einer der Wirkstoffe sowohl wirksam gegen COVID-19 als auch sicher in der Anwendung ist. Es ist nun wichtig, der Wissenschaft diese Zeit zu verschaffen. Daher muss alles daran gesetzt werden, die Verbreitung des neuen Coronavirus zu verlangsamen. Ausgangssperren und Kontaktverboten sollen hierbei helfen.
[DOI 10.5582/ddt.2020.01012]
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