Strukturzellen des Körpers steuern die Immunfunktion

Viele Zelltypen im menschlichen Körper haben mehr als nur eine Rolle. Ein eindrucksvolles Beispiel für das „Multitasking“ von Zellen beschreiben ÖAW-Biolog/innen nun im Fachjournal Nature. Sie analysierten die epigenetische und transkriptionelle Regulation in Strukturzellen – den wichtigsten strukturellen Bausteinen unseres Körpers. Dabei konnten die Forscher/innen eine überraschend vielfältige Aktivität von Immun-Genen nachweisen – obwohl es sich nicht um Zellen des Immunsystems handelt.

Unser Immunsystem schützt uns vor ständigen Angriffen durch Viren, Bakterien und andere Krankheitserreger. Ein Großteil dieses Schutzes wird von hämatopoetischen, also Blut-basierten, Immunzellen bereitgestellt, die auf die Bekämpfung von Krankheitserregern spezialisiert sind. Dazu gehören Makrophagen, die Krankheitserreger entfernen; T-Zellen, die Virus-infizierte Zellen abtöten; und B-Zellen, die neutralisierende Antikörper gegen Krankheitserreger produzieren. Die körpereigenen Abwehrfunktionen sind jedoch nicht auf diese Spezialisten beschränkt. Offenbar können auch viele weitere Zelltypen Infektionen erkennen und tragen damit direkt oder indirekt zur Immunantwort gegen Krankheitserreger bei.

Strukturzellen sind Multitasker

Die sogennanten Strukturzellen sind die zentralen Bausteine des Körpers und spielen eine wichtige Rolle für den Aufbau und die Struktur von Geweben und Organen. Zu ihnen zählen etwa Haut- und Drüsenzellen, Bindegewebszellen und die Auskleidung von Gefäßen. Trotz ihrer gut erforschten Rolle bei Autoimmun- und Krebserkrankungen haben sie einen Ruf als einfache und eher uninteressante Bestandteile des Körpers.

Diesen Ruf haben sie aber zu Unrecht, wie nun eine neue Studie von Thomas Krausgruber, Nikolaus Fortelny und weiteren Kolleg/innen aus dem Labor von Christoph Bock am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigt. Das Team widmete sich der Erforschung von Strukturzellen und ihrer Immunregulation. Dazu führten die Wissenschaftler/innen eine systematische, genomweite Analyse der epigenetischen und transkriptionellen Regulation dieser Strukturzellen durch.

Zu diesem Zweck wurde ein umfassender Katalog der Gen-Aktivität und Gen-Regulation bei drei Arten von Strukturzellen (Epithelzellen, Endothelzellen und Fibroblasten) erstellt, isoliert aus 12 verschiedenen Organen gesunder Mäuse. Für die Hochdurchsatz-Sequenzierung kamen mehrere Technologien zum Einsatz. Die Daten zeigen, dass zentrale Immun-Gene in Strukturzellen aktiv sind und eine komplexe Zelltyp- und organspezifische Genregulation aufweisen. Vertiefende bioinformatische Analysen haben außerdem ein Netzwerk von Interaktionen zwischen Strukturzellen und hämatopoetischen Immunzellen identifiziert. Daraus ergeben sich konkrete Hinweise auf die biologischen Mechanismen, mit denen Strukturzellen zur Krankheitsabwehr beitragen.

Schnelle Immunantwort

Überraschenderweise zeigen viele Immun-Gene besondere epigenetische Eigenschaften, die normalerweise mit einer hohen Genexpression verbunden sind, während die Expression in Strukturzellen von gesunden Mäusen eher gering ausfällt. Zu testen war nun, ob die entsprechenden Immun-Gene im Fall einer Infektion epigenetisch aktiviert werden. Die Ergebnisse, zu denen die Forscher/innen in Kooperation mit einem weiteren Team um Andreas Bergthaler am CeMM der ÖAW kamen, legen tatsächlich eine schnelle Immunantwort bei Virusinfektionen nahe.

Vor allem aber deckten sie die bemerkenswerte Komplexität der Regulation von Immun-Genen in Strukturzellen auf. Die Ergebnisse unterstreichen, dass Strukturzellen eben nicht nur zentrale Bausteine unseres Körpers sind, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Abwehr von Krankheitserregern leisten. Langfristig könnten diese Erkenntnisse zur Entwicklung von innovativen Therapien für Krankheiten beitragen, an denen das Immunsystem beteiligt ist.

AUF EINEN BLICK

Publikation:

“Structural cells are key regulators of organ-specific immune responses”, Thomas Krausgruber und Nikolaus Fortelny, Victoria Gernedl, Martin Senekowitsch, Linda C. Schuster, Alexander Lercher, Amelie Nemc, Christian Schmidl, André F. Rendeiro, Andreas Bergthaler und Christoph Bock, Nature, 2020
DOI: 10.1038/s41586-020-2424-4

Förderung:

Die Studie wurde mit Unterstützung eines New Frontiers Group Award der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Förderungen aus zwei Spezialforschungsbereichen des Wissenschaftsfonds FWF sowie Forschungsgeldern des Europäischen Forschungsrats (ERC) finanziert. Thomas Krausgruber wurde durch ein Lise-Meitner-Stipendium des FWF unterstützt, Nikolaus Fortelny durch ein Stipendium der Europäischen Organisation für Molekularbiologie, Alexander Lercher durch ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).