Suizidprävention: 4-Ebenen-Intervention von EU als „best practice“ ausgezeichnet

EU-Fördertopf für weitere Verbreitung des Ansatzes der Stiftung Deutsche Depressionshilfe & European Alliance Against Depression in europäischen Staaten bereitgestellt

Leipzig, 9. September 2020 – Die EU-Kommission hat den „4-Ebenen-Ansatz zur verbesserten Versorgung von Patienten mit Depression und Suizidprävention“ als beste Initiative im Bereich psychische Gesundheit ausgezeichnet. Die Mehrheit der Suizide erfolgt vordem Hintergrund einer insbesondere nicht erkannten oder nicht adäquat behandelten Depression. Das 4-Ebenen-Interventionskonzept will das Suizidrisiko durch eine verbesserte Versorgung depressiv erkrankter Menschen und dem Abbau von Fehlwissen in der Bevölkerung senken. Für die weitere Verbreitung des Interventionskonzeptes in Europa hat die EU eine Fördersumme von bis zu 2 Millionen Euro ausgeschrieben. Die EU-Kommission möchte so helfen, den erfolgreichen 4-Ebenen-Ansatz auch in andere nationale Gesundheitssysteme zu übertragen.

Ausweitung des Ansatzes in Europa

Bei einem Workshop der europäischen Kommission im vergangenen Jahr in Ispra (Italien) konnten Vertreter aus den Gesundheitsministerien der Mitgliedstaaten 11 EU-geförderte Initiativen im Bereich psychische Gesundheit kennenlernen, die zuvor in einem umfangreichen Verfahren ausgewählt worden waren. Die Mitgliedsstaaten konnten bewerten, ob die vorgestellten Projekte für die Umsetzung in ihrem Land von Interesse sind. Als bester Ansatz wurde das gemeindebasierte 4-Ebenen-Interventionskonzept mit dem dazugehörigen digitalen Selbstmanagement-Programm iFightDepression ausgewählt. „Das ist eine einmalige Auszeichnung. Unser in Deutschland entwickeltes und im Rahmen von EU-Projekten erprobtes 4-Ebenen-Interventionskonzept hat nun die Chance, in noch mehr europäische Länder und Regionen übertragen zu werden. Ich hoffe sehr, dass wir damit suizidalen Handlungen noch stärker vorbeugen und viel Leid durch eine bessere Versorgung depressiv erkrankter Menschen verhindern“, sagt Prof. Ulrich Hegerl, Präsident der European Alliance Against Depression (EAAD e.V.), Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt/M.

4-Ebenen-Intervention zur verbesserten Versorgung von Patienten mit Depression und Suizidprävention

Das 4-Ebenen-Interventionskonzept verbindet zwei Ziele: die bessere Versorgung von Menschen mit Depression und die Prävention von Suiziden bzw. Suizidversuchen. In einer umschriebenen Region (Stadt, Gemeinde) werden gleichzeitig Interventionen auf vier Ebenen gestartet:

  1. Kooperation mit Hausärzten (u.a. Schulungen)
  2. Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Plakatkampagne, öffentliche Veranstaltungen)
  3. Schulungen von Multiplikatoren (z. B. Pfarrer, Lehrer, Journalisten, Altenpflegekräfte, Polizisten)
  4. Unterstützung für Betroffene und deren Angehörige, u.a. durch Informationsmaterialien, die Förderung der Selbsthilfe und das digitale Selbstmanagement-Programm iFightDepression (tool.ifightdepression.com/). Das iFightDepression-Tool ist ein internetbasiertes, kostenfreies, von Fachpersonal begleitetes Selbstmanagement-Programm für Menschen mit leichteren Depressionsformen. Es unterstützt Betroffene beim eigenständigen Umgang mit der Erkrankung Depressionund gibt praktische Hinweise für den Alltag. iFightDepression ist in 12 verschiedenen Sprachen verfügbar.

Studien zeigen Rückgang suizidaler Handlungen

Der Ansatz wurde erstmals in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Modellprojekt, dem Nürnberger Bündnis gegen Depression, in den Jahren 2001 und 2002 angewandt. Im Rahmen mehrerer EU-geförderter Projekte wurde er weiter optimiert. Mittlerweile haben in Deutschland unter dem Dach der Stiftung Deutsche Depressionshilfe 87 Städte und Landkreise dieses 4-Ebenen-Konzept durch die Gründung regionaler Bündnisse gegen Depression umgesetzt. Darüber hinaus wurde der Ansatz in 10 weiteren europäischen Ländern sowie in Australien, Neuseeland, Kanada und Chile aufgegriffen –koordiniert von der European Alliance Against Depression. Die Wirksamkeit konnte in mehreren Studien gezeigt werden (z.B. Székely et al. 2013, Hegerl et al. 2006, Hegerl et al. 2019), in denen Abnahmen suizidaler Handlungen in Interventionsregionen im Vergleich zu Kontrollregionen festgestellt wurden. So gab es im Modellprojekt Nürnberger Bündnis gegen Depression in den beiden Interventionsjahren einen Rückgang um 24 Prozent der suizidalen Handlungen – ein Effekt, der auch im Folgejahr nachweisbar war.

Zahl der Suizide in Deutschland halbiert

In Deutschland ist die Zahl der Suizide seit Anfang der achtziger Jahre von 18.000 auf mittlerweile rund 9.400 Tote im Jahr (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018) gesunken. „Diese positive Entwicklung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Versorgungssituation in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland verbessert hat. Menschen mit Depression holen sich häufiger Hilfe, und die Ärzte erkennen Depressionen besser. Der 4-Ebenen-Ansatz dürfte dazu auch einen Beitrag geleistethaben“ so Hegerl weiter.

Über die EAAD
Die European Alliance Against Depression (EAAD) ist eine internationale gemeinnützige Organisation mit Mitgliedern aus verschiedenen Europäischen Ländern, Australien, Chile und Kanada und mehr als 115 regionalen Netzwerkpartnern. Vorsitzender ist Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Das Hauptanliegen des gemeinnützigen Vereines ist die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Optimierung der Behandlungsmöglichkeiten für depressive Patienten und die Prävention von suizidalem Verhalten durch die Initiierung gemeindebasierter 4-Ebenen Interventionsprogramme und des Online Selbstmanagement-Programms iFightDepression.

Aktuell ist die EAAD Partner in einer Vielzahl von EU-geförderten Forschungsprojekten im Bereich Depression, Suizidprävention und E-Mental-Health tätig. www.eaad.net

Über die Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Ziel der 2008 gegründeten Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist es, einen wesentlichen Beitrag zur besseren Versorgung depressiv erkrankter Menschen und zur Reduktion der Zahl der Suizide in Deutschland zu leisten. Vorstandsvorsitzender ist Prof. Dr. Ulrich Hegerl, der auch die Senckenberg-Professur an der Goethe Universität Frankfurt innehat. Die Schirmherrschaft hat der Entertainer und Schauspieler Harald Schmidt übernommen. Neben Forschungsaktivitäten bietet die Stiftung Betroffenen und Angehörigen vielfältige Informations-und Hilfsangebote wie das Diskussionsforum Depression und das deutschlandweite Info-Telefon Depression (0800 33 44 5 33). Unter dem Dach der Stiftung Deutsche Depressionshilfe koordiniert das Deutsche Bündnis gegen Depression zahlreiche lokale Maßnahmen: In über 87Städten und Kommunen haben sich Bündnisse gebildet, die auf lokaler Ebene Aufklärung über die Erkrankung leisten. www.deutsche-depressionshilfe.de