„Die Annahme, dass ein Kaiserschnitt besser für das Kind ist, ist falsch!“
Erstmals gibt es in Deutschland von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe eine S3-Leitlinie für Kaiserschnitte. Denn in 30 Jahren hat sich die Sectio-Rate mit aktuell 29,1 Prozent laut Statistischem Bundesamt fast verdoppelt (1991: 15,3 Prozent), ohne, dass es einen erkennbaren Nutzen gibt. Das muss zurecht hinterfragt werden, sagt Prof. Dr. Walter Klockenbusch, Leiter der Geburtshilfe am UKM (Universitätsklinikum Münster) – von den Kliniken selbst, aber auch von Schwangeren, wenn sie ihre Geburtsklinik auswählen.
Herr Prof. Klockenbusch, was sind mögliche Gründe für einen Kaiserschnitt?
Für einen Kaiserschnitt gibt es viele Gründe, oft sind es jedoch Ängste oder juristische Bedenken. Es ist kaum jemand verklagt worden, weil er einen Kaiserschnitt gemacht hat, aber wohl, weil er keinen gemacht hat. Eine Geburtshilfe braucht viel Geduld und Zeit und da gibt es unterschiedliche Mentalitäten. Aus Kliniken, in denen Gynäkologen die Geburtshilfe mitmachen, erwarte ich eher eine höhere Sectio-Rate – und da gibt es auch Beispiele für –, als wenn ein engagierter hauptamtlicher Geburtshelfer eine Klinik leitet.
Wann ist denn Ihrer Meinung nach ein Kaiserschnitt sinnvoll?
Es gibt absolute Gründe, zum Beispiel, wenn ein Kind querliegt oder die Plazenta im Weg ist. Es gibt noch andere Gründe, die aber an einigen Kliniken sehr großzügig ausgelegt werden, wie zum Beispiel die Beckenendlage, die nicht per se eine Indikation zum Kaiserschnitt darstellt.
Was ist die gängige Praxis bei Beckenendlage?
In Deutschland wird bei Beckenendlage in den meisten Kliniken von vornherein ein Kaiserschnitt gemacht und es gibt nicht viele Häuser, die wirklich Erfahrung mit natürlichen Geburten in dieser Situation haben. Aber in der neuen Leitlinie steht ganz deutlich: Es gibt keinen klaren Vorteil für einen Kaiserschnitt bei Beckenendlage. Natürlich muss man genauer hinschauen als bei einer Schädellage. Aber die Annahme, dass ein Kaiserschnitt – egal ob bei Beckenendlage oder generell – besser für das Kind ist, ist falsch. Ganz im Gegenteil: Ein Kaiserschnitt hat – potentiell zumindest – unerwünschte Wirkungen für das Kind.
Was sind das für mögliche Auswirkungen auf das Kind?
Wir wissen, dass Kinder, die bei vergleichbarem Alter und Schwangerschaftsverlauf auf die Welt kommen, eher auf eine Neugeborenen- oder Intensivstation müssen, wenn sie per Kaiserschnitt geboren werden. Die negativen Auswirkungen auf die Atmung sind medizinisch klar belegt; andere unerwünschte Effekte auf das Immunsystem oder die spätere Entwicklung von Asthma sind zwar noch nicht so wasserdicht, aber vieles spricht dafür. Somit ist ein Kaiserschnitt für den Outcome der Kinder nicht unbedingt besser oder sicherer, wie man das früher immer geglaubt hat.
Birgt ein Kaiserschnitt auch Risiken für die Mutter?
Die Mutter hat natürlich ein gewisses Operationsrisiko. Aber wir haben zunehmend Probleme, dass auch beim zweiten Kind die Rate für eine normale Geburt deutlich runtergeht und bei vielen Kaiserschnitten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Plazentationsstörungen, also Placenta increta und percreta, und da gibt es deutliche Komplikationsmöglichkeiten bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate der Mutter.
Wie hoch ist eigentlich die Rate an Kaiserschnitten am UKM?
Wir sind sehr stolz darauf, dass wir trotz unseres deutlich höheren Risikokollektivs mit Frühchen, Schwangeren mit Vorerkrankungen oder Kindern mit Fehlbildungen, bei denen häufig ein Kaiserschnitt indiziert ist, mit unserer Sectio-Rate genau im Durchschnitt von Deutschland liegen. Eben weil wir viele natürliche Entbindungen bei Zwillingsgeburten oder Geburten in Beckenendlage haben, die andernorts gerne auch primär sectioniert werden.
Abschließend: Was erhoffen Sie sich von der Leitlinie?
Man kann nur hoffen, dass diese Leitlinie gelesen wird und man sich in den Kliniken daran hält. Und dass zukünftig genauer geguckt wird, ob und warum ein Kaiserschnitt gemacht werden soll.