Virologe Prof. Stephan Ludwig: Cluster-Verfolgung, Infektiösität und der Wettlauf gegen das Virus
Bei der Einschätzung des neuartigen Corona-Virus wird die Expertise von Prof. Christian Drosten maßgeblich in die politischen Entscheidungen miteinbezogen. Kürzlich hat der Chef-Virologen der Berliner Charité eine Strategie beschrieben, wie das Gesundheitssystem auch bei steigenden Fallzahlen im Herbst nicht überlastet werden würde. Anstatt jede einzelne Infektion nachzuverfolgen setzt Drosten auf die Nachverfolgung von Clustern.
Herr Prof. Dr. Ludwig, der Virologe Prof. Christian Drosten will zur Verfolgung von Infektionen nicht mehr den einzelnen Infizierten nachverfolgen, sondern Cluster. Was heißt das?
Wenn man wie bisher, jeden Fall einer Infektion einzeln nachverfolgt, ist das schwierig. Das würde die Gesundheitsämter überlasten. Sein Ansatz ist, dass ein einzelner Überträger, der vielleicht nur eine weitere Person oder sogar niemanden ansteckt, gar nicht so wichtig ist. Auf diesen positiven Probanden müssen wir also gar nicht schauen. Wir müssen auf solche positiv Getesteten achten, die in irgendeinem Kontext zu einem sogenannten „Clusterevent“ standen, das heißt, die viele andere angesteckt haben könnten, wodurch sich die exponentielle Ausbreitung wieder befördert. Das ist jetzt keine Abkehr von der alten Strategie, sondern eine Fokussierung auf ‚Superspreader‘. Das sind die Personen, die solche Clusterbildungen befördern und die uns die meisten Probleme bereiten. Wenn man sich dann auf die Zurückverfolgung konzentriert und nicht mehr auf die einzelnen Übertragungsevents schaut, dann hat man viel mehr Ressourcen, diese Clusterbildungen zu vermeiden.
Was bedeutet das jetzt für Veranstaltungen?
Wir kennen ja so einige Events, die stattgefunden haben, an denen wir große Hotspotgeschehen hatten. Das war zum Beispiel die Aprés Ski Bar in Ischgl, die Karnevalsveranstaltung in Heinsberg oder das Starkbierfest in Bayern. In Japan hatte man eine Liste von solchen Events aufgeführt und gesagt: „Das sind Veranstaltungen, die man vermeiden oder erst gar nicht erlauben sollte.“ Und genau das würde ich mir auch für uns wünschen, dass wir genauer definieren. Denn ich glaube, in der breiteren Bevölkerung ist das noch nicht angekommen.
Neue Erkenntnisse legen nah, dass die Virenlast entscheidend für die Infektiösität ist, wie stehen Sie dazu?
Wir sind immer davon ausgegangen, dass solange das Virus bei einem Probanden nachweisbar ist, er infektiös ist. Es gibt jetzt neuere Daten die zeigen, dass ab einer bestimmten abgeschwächten Anzahl von Viren, die man zwar noch nachweisen kann aber die auf einem sehr kleinen Level sind, ein Individuum anscheinend nicht mehr infektiös ist. Wir können das auch durch eigene Untersuchungen unterstützen und bestätigen: Bei Mitarbeitern hier am UKM konnten wir aus positiven Proben mit sehr geringer Viruslast das Virus nicht mehr isolieren. Ganz im Gegensatz zu denjenigen, die sehr viele Viren in ihrem Rachenabstrich hatten.
Was könnte das für die Dauer der Quarantäne bedeuten?
Alles deutet darauf hin, dass, auch wenn das Virus noch nachweisbar ist, man nicht mehr infektiös ist. Das würde natürlich die Zeit erheblich verkürzen, die man Personen unter Quarantäne stellen muss. Die Frage ist nur, wer übernimmt dafür die Verantwortung? Es braucht noch gezielte Untersuchungen, um den genauen Zeitpunkt herauszufinden, wann eine Person nicht mehr infektiös ist.
Ist das Virus der Wissenschaft immer einen Schritt voraus?
Es ist nicht nur so, dass sich das Virus exponentiell ausbreitet, sondern auch der Erkenntnisgewinn ist im Moment exponentiell. Eine Vielzahl von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt befassen sich mit diesem Virus und wir lernen jeden Tag dazu. Wir lernen immer wieder neue Dinge, die uns helfen, die Gefahr besser abzuschätzen und einzugrenzen. Da bin ich sehr zuversichtlich.