COVID-19 und Frühgeborene: „Hygiene und Maske schützen auch die Kleinsten“
Am 17. November ist Weltfrühchentag
Die Neugeborenen-Intensivstation an der Innsbrucker Kinderklinik ist auf die Betreuung von zu früh oder krank geborenen Babys spezialisiert. Weil Infektionen in der Schwangerschaft neben Bluthochdruck, Schwangerschaftsvergiftung und Mehrlingsschwangerschaften zu den häufigsten Auslösern einer Frühgeburt zählen und rund um SARS-CoV-2 noch viele Fragen offen sind, haben wir Ursula Kiechl-Kohlendorfer, Direktorin der Innsbrucker Univ.-Klinik für Pädiatrie II (Neonatologie), um Antworten gebeten.
Innsbruck, am 12.11.2020: Das jährliche Zusammentreffen für Eltern und ehemalige Frühgeborene anlässlich des Weltfrühchentages am 17. November, das für gewöhnlich an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Pädiatrie II stattfindet, fällt in diesem Jahr den Corona-Beschränkungen zum Opfer. Die strikte Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregelungen steht an der Neugeborenen-Intensivstation aber ohnehin das ganze Jahr auf der Tagesordnung und zeigt auch in der aktuellen Pandemie ihre positive Wirkung.
Frau Kiechl-Kohlendorfer, wie geht man an der Innsbrucker Neonatologie mit der Pandemie und der aktuellen Situation um?
Zu Beginn der Pandemie gab es kaum Daten darüber, wie betroffen Schwangere und Neugeborene sind, aber wir haben uns in den organisatorischen Abläufen auf COVID-19 eingestellt, haben eigene Kaiserschnitt-OPs für SARS-CoV-2 positive Frauen eingerichtet und einen Teil der Station für positive Neugeborene reserviert. In dieser Zeit gab es allerdings nur einige wenige Verdachtsfälle. Trotz SARS-CoV-2 ist der Aufbau der Interaktion und die Beziehung zum Kind aber sehr wichtig, weshalb die aktuelle Besuchsregelung von 30 Minuten auf unserer Station nicht gilt; die Mutter ist ja integraler Bestandteil der Neu- und Frühgeborenenversorgung und kann rund um die Uhr da sein, auch der Vater kann zum Kind. Wenn eine Mutter als Begleitperson bei uns einzieht und hier übernachtet, muss sie natürlich einen negativen Abstrich haben. Und auch im Rahmen der neonatologischen Nachsorge dürfen die Eltern mit dem Kind nur kommen, wenn sie symptomfrei sind.
Haben Schwangere, die an COVID-19 erkranken, ein höheres Frühgeburtsrisiko?
Das kommt natürlich auch auf den Gesundheitszustand der Frau an. Es gibt bei schwer erkrankten Schwangeren, was selten der Fall ist, auch ein leicht erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt.
Was wissen wir heute über das Ansteckungsrisiko für das Kind?
Bisher gibt es dazu nur einzelne Fallberichte. Eine Ansteckung im Mutterleib oder während der Geburt ist aber immer noch fraglich, hier müssen wir wissenschaftliche Ergebnisse abwarten. Die Frage, ob eine Übertragung möglich ist, ist eher mit Nein zu beantworten, das Ansteckungsrisiko dürfte also gering sein. Bei Babys von SARS-CoV-2 positiven Frauen mit geringen Symptomen oder asymptomatischem Verlauf – wir hatten auf unserer Station erst kürzlich zwei solche Fälle – wird unmittelbar nach der Geburt und am 5. Lebenstag ein Abstrich gemacht; eine Trennung von Mutter und Kind ist aber nicht notwendig. Ausschlaggebend sind eine spezielle Hygiene beim Stillen, die regelmäßige Händedesinfektion und der Mund-Nasen-Schutz. Diese einfachen Maßnahmen, die wir alle kennen, sind hier besonders wichtig und werden von den meisten Frauen am Ende ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt auch eingehalten.
Wie wirkt sich eine Ansteckung mit dem neuen Virus auf das Frühgeborene aus, dessen Lunge meist noch unterentwickelt ist?
Man hat gesehen, dass Neugeborene, die von SARS-CoV-2 betroffen sind, asymptomatische oder milde Verläufe hatten und meist ohne Sauerstoff oder Intensivbehandlung und künstlicher Beatmung auskamen. Auch im Magen-Darm-Trakt kann das Virus leichte Symptome machen. Natürlich sind die Lunge und das Atemnotsyndrom beim Frühchen im Vordergrund, dafür steht uns eine Palette von Atemunterstützungsmaßnahmen zur Verfügung.
Warum sind Neugeborene eigentlich nicht so stark betroffen?
Dazu gibt es mehrere Hypothesen. Zum einen weil das Virus zu seiner Vermehrung den sog. ACE-Hemmer braucht, um in die Zellen zu kommen, dieser ist bei Frühgeborenen aber noch nicht so ausgebildet. Außerdem wird angenommen, dass das unreife Immunsystem nicht zu diesen hyper-entzündlichen und überschießenden Immunreaktion neigt, wie das bei älteren Personen der Fall sein kann.
Extreme Frühchen sind in ihren ersten Lebensjahren anfälliger für Infekte. Könnte das auch für COVID-19 zutreffen?
Genau diese Frage ist Gegenstand eines Forschungsprojekts, das an unserer Klinik unter der Leitung von Anna Posod gestartet wurde. Im Rahmen dieser Langzeitstudie werden Kinder von SARS-CoV-2 positiven Müttern beobachtet; bis jetzt konnten wir zehn Mutter-Kind-Paare, darunter eine Mutter mit Zwillingen, einschließen. Wir schauen uns die immunologische Entwicklung der Kinder an, ob Antikörper da sind, ob sie Virus ausscheiden oder ob das Virus über die Muttermilch übertragen wird. Noch ist es aber zu früh, um über Ergebnisse zu sprechen. Natürlich tauschen wir uns auch mit anderen neonatologischen Zentren aus und tragen unsere Daten in eine österreichweite Datenbank ein.
Während des ersten Lockdowns gab es anscheinend weniger Frühgeburten. Konnten Sie das auch auf Ihrer Station beobachten?
In Innsbruck versorgen wir durchschnittlich 70 bis 80 sehr kleine Frühchen pro Jahr, wir sind als Zentrum aber zu klein, um mit Sicherheit sagen zu können, dass es Schwankungen aufgrund von Quarantänemaßnahmen gibt. Doch es gibt inzwischen mehrere Publikationen, die für die Zeit des ersten Lockdowns von Mitte März bis Ende April im Vergleich zu den Vorjahren deutlich weniger extreme Frühgeburten registrieren. Möglich ist, dass durch die Reduzierung sozialer Kontakte auch weniger Infektionen auftraten oder dass es durch die Lockdown bedingte Beruhigung des öffentlichen Lebens weniger Aufregung und Stress gab. Das sind Erklärungsmodelle, die nun gezielt erforscht werden.
Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.000 MitarbeiterInnen und ca. 3.300 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.
Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.