Bauchbinde soll Blutdruck regulieren und Stürze verhindern
Tuba-Stiftung fördert Forschungsprojekt zur Verbesserung der Mobilität bei Parkinson
Ein neues Forschungsvorhaben an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie verfolgt das Ziel, die Mobilität und Gangsicherheit von älteren Menschen mit Parkinson-Syndromen zu verbessern. Untersucht wird, ob das Tragen einer Bauchbinde spontane Blutdruckabfälle, die oft zu schweren Stürzen führen, verhindern kann.
Innsbruck, am 01.07.2021: Der Alltag von Menschen mit Parkinson und parkinsonähnlichen, neurodegenerativen Erkrankungen wie der Multisystematrophie (MSA) wird oft von Stürzen und damit einhergehenden Verletzungen beeinträchtigt. „Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die erhöhte Fallneigung bei Parkinson auf spontane Blutdruckabfälle, sogenannte klassische orthostatische Hypotonien, zurückzuführen ist“, bestätigt Neurobiologe Gregor Wenning, der an der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl) seit vielen Jahren zu Parkinson und MSA forscht.
Das neue, von der US-amerikanischen MSA-Coalition unterstützte Projekt wird von der Dr. Johannes und Hertha Tuba-Stiftung mit 100.000 Euro als herausragendes Vorhaben im Bereich der Alternsforschung gefördert.
Nicht-medikamentöse Blutdruckregulierung durch Bauchbinde
An der Univ.-Klinik für Neurologie wird schwerpunktmäßig zur orthostatischen Hypotonie (OH) geforscht. Diese Kreislaufstörung, die bei Parkinson und MSA aufgrund von Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems auftritt, zeigt sich als Abfall des systolischen Blutdrucks (oberer Messwert) um mindestens 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks (unterer Messwert) um mindestens 10 mmHg innerhalb von drei Minuten nach dem Aufstehen im Vergleich zu den Ruhewerten im Liegen. Bei MSA-PatientInnen kann der Blutdruck auch binnen nur einer Minute nach dem Aufstehen drastisch sinken. Schwindel und kurz andauernde Bewusstlosigkeit können die Folge sein.
In der neuen Studie, die Gregor Wenning gemeinsam mit den Neurologinnen Alessandra Fanciulli (Med Uni Innsbruck) und Cecilia Raccagni (Neurologie Bozen) leitet und die zusammen mit der Arbeitsgruppe um den Parkinson-Experten Klaus Seppi durchgeführt wird, will man nun an 30 ProbandInnen (PatientInnen mit Parkinson und mit atypischem Parkinsonsyndrom MSA) die Wirkung einer tagsüber getragenen Bauchbinde auf den Blutdruck beobachten. „Die Bauchbinde kommt eigentlich aus der Adipositas-Chirurgie und wird in unserem Projekt quasi zweckentfremdet. Wir setzen sie ein, um mit der ausgeübten Kompression Blutansammlungen im Bauchraum zu unterbinden oder aufzulösen, sodass das Blut wieder zurück in den Kreislauf fließt und der Blutdruck stabilisiert wird“, erklärt Alessandra Fanciulli. Schon eine vorangegangene kleinere Innsbrucker Pilotstudie mit 14 ProbandInnen zeigte, dass das Tragen einer Bauchbinde Blutdruckabfälle verhindern kann. Dieser nicht-medikamentöse Eingriff bewährt sich vor allem bei älteren PatientInnen, die mit der gleichzeitigen Einnahme mehrerer Medikamente oft unter Wechselwirkungen leiden und nicht durch ein weiteres Medikament zusätzlich belastet werden sollten. Im Rahmen dieser personalisierten Therapie entscheiden die PatientInnen zudem selbst, wann und wie lange sie die Bauchbinde tragen.
Messung mit Kipptisch und Sensoren im Schuh
Um die erwünschte Reduktion von abrupten Blutdruckabfällen kontrollieren zu können, wird die Reaktion des Körpers auf die passive Lageveränderung mittels Kipptisch-Untersuchung beobachtet. Das Innsbrucker Kipptischlabor ist eines der ersten dieser Art in Österreich. „Die Patienten liegen auf einer flexiblen Trage und sind mit Gurten gesichert. Nach dem Kippen der Liegefläche können wir messen, ob die spontane Lageveränderung zu einem Blutdruckabfall führt. Damit steht uns ein standardisierter Parameter zur klinischen Beurteilung der orthostatischen Hypotonie zur Verfügung“, erklärt Wenning. Ob das Tragen der Bauchbinde untertags schließlich zu einer Verbesserung von Gangbild und Ganggeschwindigkeit beiträgt, wird im Ganganalyse-Labor anhand von Sensoren, die in den Schuhen der PatientInnen integriert sind, in regelmäßigen Abständen überprüft.
„Die ausgeprägte Fallneigung bei älteren Parkinson- und MSA-Patienten ist mit hoher Verletzungsgefahr und auch Mortalität verbunden. Doch diese motorischen Defizite sind relativ einfach behandelbar: Die mechanische Stabilisierung des Blutdrucks verbessert die Gangsicherheit, hilft, Stürze zu vermeiden und erleichtert damit den Alltag der Betroffenen“, betont Wenning.
Die leitenden ForscherInnen:
Gregor Wenning leitet die Abteilung für Neurobiologie an der Univ.-Klinik für Neurologie, die er mit seinen experimentellen und klinischen Arbeiten zum atypischen Parkinsonsyndrom MSA zu einem der weltweit führenden MSA-Zentren entwickeln konnte.
Die gebürtige Italienerin Alessandra Fanciulli hat in Rom und Innsbruck Neurologie studiert. Gemeinsam mit Gregor Wenning hat sie an der Medizinischen Universität Innsbruck Österreichs erstes Dysautonomie Zentrum aufgebaut.
Die aus Imola stammende Cecilia Raccagni hat in Innsbruck die neurologische Facharztausbildung absolviert und das Ganganalyse-Labor mitaufgebaut. Ihre Sensor-Expertise bringt sie derzeit an der Neurologie Bozen ein.
Dr. Johannes und Hertha Tuba Forschungsförderung
„Dr. Johannes Tuba war ein Pionier auf dem Gebiet der Gerontologie und der Geriaterie. Für den Stiftungsvorstand ist es uns eine große Ehre und Verpflichtung, die ständige Unterstützung ärztlicher Wissenschafter fortzuführen. Die Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität funktioniert ausgezeichnet“, unterstreicht KR Franz Troppmair, Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Auch Michael Fiegl, ärztlicher Direktor der Privatklinik Hochrum und Tuba-Stiftungsvorstandsmitglied betont: „Als Vertreter der Tuba-Stiftung und als Mediziner freue ich mich, dass wir hier ein Projekt unterstützen, das sich durch besondere neurologische Expertise auszeichnet und das dazu beitragen wird, die Lebensqualität der Betroffenen, zumeist älteren Menschen, zu erhöhen.“
Im Auftrag der Dr. Johannes und Hertha Tuba-Stiftung schreibt die Medizinische Universität Innsbruck die Einreichung von Projekten auf den Gebieten der Gerontologie und Geriatrie (Alternsforschung) aus. Gefördert werden innovative Projekte aus dem Bereich medizinischer Grundlagenforschung sowie der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung rund um Fragen des Alters und des Alterns (Prävention, Diagnose, Therapie, Rehabilitation), deren Ergebnisse zur Verbesserung der Situation von Menschen im Alter erkennbar beitragen. Zielsetzung ist die unmittelbare Förderung der Wissenschaft und der Forschungstätigkeit von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern auf höchstem Niveau.
Neben dem Projekt der ForscherInnen um Gregor Wenning, Alessandra Fanciulli und Cecilia Raccagni unterstützt die Tuba-Stiftung im Jahr 2020 die Forschungsvorhaben von Teams um Michaela Defrancesco (Universitätsklinik für Psychiatrie I), Florian Kronenberg (Institut für Genetische Epidemiologie) sowie Sebastian Reinstadler (Universitätsklinik für Innere Medizin III).