Was der Darm über das Herz verrät
Veränderungen im Darm-Mikrobiom können langfristig zu Herz-Kreislauf-Leiden führen. Wie ein Team um die ECRC-Forscherin Sofia Forslund in „Nature Medicine“ berichtet, normalisieren sich einige der Abweichungen bei chronischen Zuständen aber anscheinend wieder. Medizinisch lässt sich das vielleicht nutzen.
Die Keime des menschlichen Darms beeinflussen die Gesundheit erheblich. Verstanden sind die komplizierten Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der Entstehung von Krankheiten bisher aber allenfalls in Ansätzen. Der schwedischen Bioinformatikerin Dr. Sofia Forslund, die am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) die Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“ leitet, ist es einmal mehr gelungen, Veränderungen im komplexen Zusammenspiel der Darmkeime aufzuspüren, die offenbar entscheidend zur Entwicklung der großen Volkskrankheiten beitragen. Das ECRC ist eine gemeinsame Einrichtung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Bereits im Dezember hatte Forslund als Erstautorin eine Studie in der Zeitschrift „Nature“ publiziert, in der sie gemeinsam mit ihren Kolleg*innen an 2.173 europäischen Patient*innen untersucht hatte, wie sich das Mikrobiom und kardiometabolische Erkrankungen – zu denen neben Herzleiden zum Beispiel auch der Diabetes gehört – gegenseitig beeinflussen und welche Rolle die verordneten Medikamente dabei spielen.
Das Mikrobiom ist von Anfang an beteiligt
In ihrer aktuellen Veröffentlichung im Fachblatt „Nature Medicine“ beschreibt Sofia Forslund gemeinsam mit einem internationalen Team aus 62 weiteren Forscher*innen mehrere wichtige Abweichungen im Mikrobiom des Darms, die an der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beteiligt sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der koronaren Herzkrankheit (KHK). Dabei sind die Gefäße, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgen, verengt. Die KHK gilt als die häufigste Todesursache in den westlichen Ländern. Sofia Forslund ist eine von sechs Erstautor*innen der Arbeit, die neue Wege zur Prävention von Herzleiden eröffnen könnte.
Für die Studie rekrutierten die Forschenden 1.241 Europäer*innen mittleren Alters, darunter gesunde Menschen und Patient*innen mit KHK in drei Krankheitsstadien – einem akuten Koronarsyndrom, einer chronischen KHK oder KHK mit begleitender Herzinsuffizienz. Außerdem waren auch Patient*innen ohne KHK, aber mit metabolischen Erkrankungen wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes dabei. In Deutschland wirkten unter anderem das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) in Berlin und das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg sowie in Israel das Weizmann Institute of Science in Rehovot an der Veröffentlichung mit.
Die Wissenschaftler*innen analysierten bei allen Proband*innen das Metagenom des Darms sowie das Metabolom des Bluts und des Urins. Das Metagenom enthält die genomischen Informationen aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln; das Metabolom umfasst alle am Stoffwechsel beteiligten Moleküle. „Wir haben festgestellt, dass – wenn wir den Lebensstil und die Auswirkungen von Medikamenten berücksichtigen – etwa drei Viertel der Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die Menschen mit KHK von gesunden Personen unterscheiden, auch bei Menschen mit Stoffwechselerkrankungen vorhanden sind“, sagt Forslund. „Das deutet darauf hin, dass sich das Mikrobiom und das Metabolom schon lange vor dem offensichtlichen Beginn eines Herz-Kreislauf-Leidens verändern, nämlich bereits in den Vorstufen einer Stoffwechselerkrankung.“ Das wiederum spreche stark dafür, dass das Mikrobiom schon zu einem frühen Zeitpunkt an der Entstehung von Herzkrankheiten beteiligt sei.
Manche Merkmale normalisieren sich wieder
In einem weiteren Schritt analysierte das Team um Forslund Mikrobiom- und Metabolom-Merkmale, die spezifisch für die KHK und die drei untersuchten Krankheitsstadien sind – um exakte Diagnosen künftig zu erleichtern. „Zudem wollten wir herausfinden, inwieweit diese Signaturen mit einer Änderung der Medikation in Zusammenhang stehen“, sagt Forslund. „Was uns bei all unseren Analysen besonders überrascht hat, war die Beobachtung, dass sich einige Auffälligkeiten, die wir im akuten Krankheitsfall finden, anscheinend bei chronischen Zuständen wieder normalisieren“, berichtet die Forscherin. Diese Abweichungen wolle sie sich noch genauer ansehen: „Sie zu beseitigen, könnte helfen, eine akut erkrankte Person zu stabilisieren.“
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse nach Ansicht von Forslund, dass bei künftigen klinischen Studien Vorsicht geboten sei. „Viele der Signaturen, die wir gefunden haben, sind nicht spezifisch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt sie. Das müsse man bei weiteren Untersuchungen mit Patient*innen berücksichtigen. Forslund sieht auch die Grenzen ihrer aktuellen Arbeit: „Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, können wir keine Kausalität nachweisen, sondern nur Assoziationen aufzeigen.“
Weitere Einblicke ins menschliche Herz
Nun bleibe abzuwarten, ob Längsschnittdaten die Ergebnisse bestätigen. „Liefern soll solche Daten zum Beispiel die Berliner BeLOVE-Studie, für die wir rund 10.000 Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen rekrutieren“, sagt Forslund. Erste Resultate der Studie, an der neben dem MDC die Charité und das Berlin Institute of Health (BIH) beteiligt sind, erwartet die Forscherin in einigen Jahren. Gespannt ist Forslund zudem auf die Daten einer weiteren Untersuchung. Dafür analysiert sie derzeit gemeinsam mit Kolleg*innen das Mikrobiom von Patient*innen mit Herzinsuffizienz, bei denen die Pumpleistung des Herzens eingeschränkt ist.
Die ECRC-Forscherin war noch an einer weiteren zeitgleich in „Nature Medicine“ veröffentlichten Arbeit beteiligt. In dieser Publikation haben die Autor*innen das Mikrobiom und das Metabolom im Blut von 199 Patient*innen mit einem akuten Koronarsyndrom nach Auffälligkeiten durchforstet. Dabei haben sie unter anderem festgestellt, dass die Betroffenen, die in zwei großen israelischen Krankenhäusern behandelt wurden, im Vergleich zu Menschen ohne die lebensbedrohliche Durchblutungsstörung des Herzens deutlich geringere Mengen einer bisher unbekannten Bakterienart aus der Familie der Clostridiaceae aufweisen.
Text: Anke Brodmerkel
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