Neue Studie zum Einfluss sozialer Informationen auf die Antibiotika-Einnahme

Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1928 haben Antibiotika Millionen von Menschen das Leben gerettet. Durch missbräuchlichen oder übermäßigen Konsum, z.B. bei nur leichten Erkrankungen, und dem Einsatz in der Massentierhaltung nimmt jedoch gleichzeitig die Entwicklung antibiotikaresistenter Keime stetig zu. Das stellt heute eines der größten globalen Probleme im Gesundheitssektor dar. So steht bei jeder Antibiotika-Einnahme dem persönlichen Nutzen – Bekämpfung einer (leichten) bakteriellen Infektion – der kollektive Nutzen – Aufrechterhaltung der Wirksamkeit von Antibiotika – gegenüber. Forscher*innen der Universität Erfurt haben dieses soziale Dilemma nun in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt mit den Universitäten Wien und Kopenhagen untersucht. Dafür wurde ein neues Verhaltensspiel entwickelt, in dem auch die Rolle sozialer Informationen bei der Antibiotika-Einnahme erforscht werden kann.

Der Studie, an der seitens der Uni Erfurt Prof. Dr. Cornelia Betsch und Dr. Lars Korn beteiligt waren, liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Menschen bei ihrer Entscheidung für eine Antibiotika-Einnahme häufig nicht bewusst sind, dass in der Folge ihres Verhaltens die Antibiotikaresistenz zunehmen kann und sie damit der Gemeinschaft potenziell schaden können. Zudem fehle es in der Regel an Informationen darüber, in welchen Fällen andere Patientinnen und Patienten Antibiotika einnehmen. Solche sozialen Informationen könnten jedoch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika reduzieren – so die These der Wissenschaftler*innen –, und zwar indem sie Unsicherheiten verringern, die sozialen Folgen des Handelns verdeutlichen und das Vertrauen untereinander stärken, dass jede*r sich darum bemüht, die Wirksamkeit von Antibiotika zu schützen.

Um die Fragen zu beantworten, ob Antibiotika auch dann übermäßig verwendet werden, wenn das zugrundeliegende soziale Dilemma bekannt ist, und ob die Entscheidung, ein Antibiotikum einzunehmen, tatsächlich durch soziale Informationen beeinflusst wird, führten die Forscher*innen ein Laborexperiment mit mehr als 270 Teilnehmer*innen durch. Dabei kam das zuvor neu entwickelte Spiel „I-Resist“ zum Einsatz. Verhaltensspiele sind vereinfachte, aber präzise Abstraktionen von sozialen Situationen, in denen Entscheidungen – anders als in Gedankenexperimenten – echte Konsequenzen haben. Im I-Resist-Spiel spielten je zwei Spieler*innen über zehn Runden miteinander. Pro Runde hatten sie 60 Sekunden Zeit, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Für jede abgeschlossene Aufgabe erhielten sie 0,20 EUR. In jeder Runde „erkrankten“ die Spieler*innen an einer leichten oder schweren Krankheit. Eine leichte Krankheit reduzierte ihre verfügbare Zeit zur Lösung der Aufgaben um 50 Sekunden, eine schwere um die ganzen 60 Sekunden. Mit der Einnahme eines Medikaments konnte die gesamte Zeit wiederhergestellt werden und damit mehr Geld verdient werden. Nach zehnmaliger Einnahme innerhalb eines Spiels verlor das Medikament jedoch seine Wirksamkeit.

Die Probandinnen und Probanden führten das Spiel unter zwei verschiedenen experimentellen Bedingungen durch: ohne soziale Informationen oder mit sozialen Informationen. Bei Letzterem erhielten sie nach jeder Runde eine Rückmeldung über den Schweregrad der Krankheit des anderen Spielers und dessen Einnahme-Entscheidung. Sie wussten aber auch, dass der andere Spieler die gleichen Informationen über sie erhält.

Die Wissenschaftler*innen kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis: Selbst, wenn sich die Studienteilnehmer*innen des sozialen Dilemmas bewusst waren, ging mit der Antibiotika-Einnahme eher eine egoistisch motivierte Überversorgung mit dem Medikament einher. Wussten die Personen jedoch gegenseitig über ihre Medikamenteneinnahme Bescheid, ging die übermäßige Nutzung zurück. Die Forscher*innen schließen daraus, dass Personen eher einen sozialen Vertrag – im Sinne einer eingeschränkten Medikamenteneinnahme zum Wohl der Gesellschaft – eingehen, wenn sie ihre Einnahmeentscheidungen miteinander teilen. Das Vorhandensein sozialer Informationen könne also dazu beitragen, Vertrauen und das Gefühl von Fairness zu erhöhen und zur Steigerung des gemeinsamen Nutzens zu motivieren. Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Uni Erfurt, schließt daraus: „Für politische Gesundheitskampagnen ergibt sich aus diesen Studienergebnissen die Empfehlung, dass die Aufklärung über Resistenzbildung zwar wichtig ist, wir aber auch eine gesellschaftliche Vereinbarung brauchen, dass jeder und jede dazu beiträgt, die wichtigen Medikamente nicht zu verschwenden, und dass Erkrankte, wenn es nicht dringend medizinisch geboten ist, auf deren Einnahme verzichten.“

Die Studie Behavioral determinants of antibiotic resistance: The role of social information wurde veröffentlicht in dem wissenschaftlichen Magazin Applied Psychology: Health and Well-Being und kann eingesehen werden unter: https://iaap-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/aphw.12345