Proteinlandkarten von Tumoren

Die Eigenschaften von Krebszellen kann man mithilfe von Deep Visual Proteomics besser verstehen, schreibt ein deutsch-dänisches Team in „Nature Biotechnology“. Fabian Coscia hat das Verfahren mitentwickelt und wird es am MDC weiter verfeinern – um auch für resistente Tumore Therapien zu finden.

Um zu begreifen, was eine entartete Zelle so gefährlich, aber womöglich auch verwundbar macht, reicht es nicht aus, ihre Gene anzuschauen. „Entscheidend für die Funktionen aller Zellen sind vielmehr die Proteine“, sagt Dr. Fabian Coscia, der seit Juni 2021 am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) die Arbeitsgruppe „Spatial Proteomics“ leitet.

In seiner Zeit als Postdoc hat Coscia gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Andreas Mund am Novo Nordisk Foundation Center for Protein Research (CPR) der Universität Kopenhagen in der Gruppe von Professor Matthias Mann daher ein Verfahren entwickelt, das mithilfe künstlicher Intelligenz das Proteom, also die Gesamtheit aller hergestellten Proteine, von Krebszellen analysiert. Die Teams stellen die Methode namens Deep Visual Proteomics (DVP) jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Biotechnology“ vor.

Tiefer Blick ins Tumorgewebe

„Wenn in unseren Zellen etwas schief läuft und wir krank werden, können wir sicher sein, dass Proteine in vielfältiger Weise daran beteiligt sind“, erläutert Mann, der nicht nur in Kopenhagen forscht, sondern am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München auch die Forschungsabteilung „Proteomics und Signaltransduktion“ leitet und das noch recht junge Fachgebiet der Proteomik mitgegründet hat. „Deshalb kann uns die Kartierung der Proteinlandschaft dabei helfen, herauszufinden, warum sich bei einem bestimmten Patienten ein Tumor entwickeln konnte, welche Schwachstellen dieser Tumor hat und welche Behandlungsstrategie die nützlichste sein könnte.“

Mit Deep Visual Proteomics lassen sich die Proteine unterschiedlicher Krebszellen so detailliert wie nie zuvor erfassen. Das Verfahren besteht im Prinzip aus vier Schritten. Zunächst erstellt ein hochauflösendes Mikroskop ein genaues Bild der Gewebeprobe. Mithilfe künstlicher Intelligenz werden die einzelnen Zellen der Probe im nächsten Schritt anhand ihrer visuellen Merkmale, die für ein menschliches Auge kaum zu erfassen sind, in verschiedene Gruppen eingeteilt. Ein Laserstrahl schneidet die Zellen anschließend Gruppe für Gruppe automatisiert aus dem Gewebe heraus und fasst sie in jeweils einer neuen Probe zusammen. Im letzten Schritt ermittelt ein Massenspektrometer in den unterschiedlichen Proben die genaue Zusammensetzung der Proteine.

Ein Werkzeug für alle Krebsarten

„Mit der Kombination modernster mikroskopischer und massenspektrometrischer Verfahren sowie dank künstlicher Intelligenz erreichen wir einen bislang noch nie dagewesenen Einblick in das Krankheitsgeschehen bei Krebs“, sagt Coscia. „Inzwischen reichen uns weniger als hundert Zellen aus, um in ihnen Tausende von Proteinen gleichzeitig zu erfassen.“ Zudem erhalte man ein gänzlich unvoreingenommenes Bild von den Abläufen in verschiedenen Krebszellen und könne womöglich noch unbekannte Proteine entdecken, die zum Beispiel an der Ausbreitung der Zellen im Körper und somit an der Entstehung von Metastasen beteiligt sind. Auch Wechselwirkungen zwischen den Krebszellen und dem sie umgebenden Gewebe kann Deep Visual Proteomics besser erfassen.

In ihrer aktuellen Publikation haben sich die Forschenden auf Zellen von Haut- und Speicheldrüsenkrebs beschränkt. „Aber natürlich lassen sich mit dem Verfahren auch alle anderen Tumorarten näher charakterisieren“, sagt Coscia. Einige von ihnen will sich der Wissenschaftler nun im Rahmen des Projekts MSTARS (Multimodale klinische Massenspektrometrie für die Untersuchung von Therapieresistenz) vornehmen, an dem neben dem MDC auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Berliner Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik und die Humboldt-Universität zu Berlin beteiligt sind.

Therapien auch für andere Erkrankungen

„Das Gute an Proteinen ist unter anderem, dass sie so stabil sind“, sagt Coscia. Mit der neuen Methode könne man daher auch in Formalin fixierte Gewebeproben von Patient*innen untersuchen, die bereits viele Jahre alt seien, und die Ergebnisse mit den klinischen Daten dieser Menschen vergleichen. „Auf diese Weise wollen wir erkennen, warum eine bestimmte Therapie in dem einen Fall vielleicht besonders gut angeschlagen, in dem anderen aber leider versagt hat“, erläutert der Forscher. Sein Ziel sei es, neue Angriffspunkte für individuelle, also auf die Patient*innen maßgeschneiderte Krebstherapien – auch für bislang behandlungsresistente Tumore – zu finden.

Doch nicht nur das Krebsgeschehen lässt sich per Deep Visual Proteomics besser verstehen. Auch auf andere Krankheiten ist das Verfahren anwendbar. „Man kann zum Beispiel die Proteine in Nervenzellen analysieren und so herausfinden, was bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson in den Zellen genau passiert“, sagt Coscia. Er freue sich jedenfalls sehr, wenn das von ihm und seinen Kolleg*innen entwickelte Tool künftig auch von Forschenden vieler anderer Fachrichtungen genutzt werde, um mit dessen Hilfe zu neuen biomedizinischen Erkenntnissen zu gelangen.

Weiterführende Informationen

Literatur

Andreas Mund, Fabian Coscia et al. (2022): „Deep Visual Proteomics defines single cell identity and heterogeneity“. Nature Biotechnology, DOI: 10.1038/s41587-022-01302-5